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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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hat René das Leben gerettet. Solche
Menschen gibt’s.“
    „Was für Menschen? Berufliche Lebensretter?“
    „Retter und Gerettete.“
    „Das ist also kein Feind? Ein Freund... Seine
Rettungsaktion hat sich gut bezahlt gemacht.“
    „Schon möglich.“
    „Kommen wir zu den Feinden zurück. Nur die
interessieren mich.“
    „Er war schon immer sehr hartherzig.
Geschäftlich wie privat. Ständig im Streit mit dem einen oder andern.
Unausstehlich für alle. Von seiner Frau lebt er getrennt, obwohl die
füreinander wie geschaffen waren. Aber sein Größenwahn! Unser Familienbetrieb genügte
ihm nicht. Textilien sind ihm zu... äh... mickrig. Er hat dazu ein
Transportunternehmen und eine Spinnerei gegründet...“
    „Eine Vertikalverflechtung?“
    „Ich glaub, so heißt das im Fachjargon. Im
Moment hat er eine neue Marotte: Er hegt politische Ambitionen. Steht gerade in
Verhandlung über den Kauf der Méridien. Die Zeitung befindet sich in Schwierigkeiten. Sie würde jeden Morgen einer
Million Lesern — unter dem tut er’s nicht — die Meinung von Monsieur René
Lévyberg über dieses oder jenes nationale oder internationale Problem
mitteilen. Kurz und gut, er leidet an einem Minderwertigkeitskomplex, den er
irgendwie abreagieren muß. Ich nehme an, das hat er aus dem Konzentrationslager
mitgebracht..."
    Ein eigenartiges Lächeln huschte über ihre
vollen Lippen. Sie schien finsteren Gedanken nachzuhängen.
    „...Übrigens: das mit dem Zeitungskauf geht
nicht ganz so glatt. Eine gegnerische Gruppe, angeführt von Raucher, versucht,
ihn auszubooten. Das ist alles, was ich weiß. Hilft Ihnen das weiter?“
    „Glaub nicht. Das kann zu dem passen, was ich
erfahren habe. Vielleicht aber auch nicht.“
    „Was haben Sie erfahren?“
    „Ihr Bruder wird erpreßt. Zumindest wird’s
versucht.“
    Sie stürzte sich drauf wie ein Hund auf einen
Knochen. „Großartig!“ schrie sie. Ihre Stimme zitterte.
    „Hm. ‘Ne ähnliche Schweinerei haben Sie
vermutet, und weil Sie mehr darüber wissen wollten, haben Sie mir was
vorgemacht, stimmt’s?“
    „Ich habe Ihnen überhaupt nichts vorgemacht“,
erwiderte sie schnippisch. „Und kümmern Sie sich nicht darum, ob ich etwas geahnt
habe oder nicht. Erzählen Sie weiter. Ich will was hören für mein Geld.“
    Der Ton mißfiel mir.
    „Es gibt nichts zu erzählen. Ich weiß noch zu
wenig. Und es wird auch bestimmt nicht mehr werden. Ich hör auf.“
    „Sie hören auf?“
    Ungläubigkeit und Verblüffung spiegelten sich
auf der Gesichtshälfte, die nicht durch die schwarze Haarpracht verdeckt war.
    „Ich höre auf“, wiederholte ich.
    „Warum?“ schrie sie wütend. „Ich hab Sie
bezahlt...“
    „Es geht nicht um Geld. Ich werd’s Ihnen
zurückgeben.“ Sie beruhigte sich. Einschmeichelnd säuselte sie mit ihrer
verführerischen, etwas verruchten Stimme:
    „Aber, aber! Warum sind Sie denn so böse zu
Ihrer kleinen Alice?“
    „Alice? ... Ach ja...“
    Alice, richtig. Ja, früher gab es mal eine
kleine, süße Alice. Das war die leidenschaftliche Geliebte meines Freundes
Moreno. Moreno war tot. Alice auch. Schwer zu sagen, wer von den beiden toter
war: der Mann, der von den Kugeln der Franquisten erledigt worden war, oder die
Frau, die sich heute Esther nannte.
    „Seien Sie nicht dumm, Burma! Hören Sie auf,
wenn Sie wollen. Aber behalten Sie das Geld. Sie haben es sich verdient. Schon
alleine durch das, was Sie mir berichtet haben. Obwohl... ich bedaure es, daß
Sie den Fall nicht weiter verfolgen wollen. Ich hätte gerne mehr erfahren. Na
ja...“
    „Um Ihrem Bruder bei dem schweren
Schicksalsschlag beizustehen, nicht wahr?“ bemerkte ich ironisch.
    Sie stand auf und ging im Zimmer auf und ab.
Unverhofft flink bewegte sie ihren massigen Körper zwischen den Sammelstücken.
    „Quatsch! ...Natürlich um mich an seinen Qualen
zu weiden“, erklärte sie zynisch.
    Die süße Alice war mausetot. Sie hatte es mir ja
gesagt: ,Nicht Alice! Esther.’ Es gab nur noch Esther. Wie eine Furie. Die
Narben unter ihrer langen Haarpracht paßten dazu. Ich konnte es mir nicht
verkneifen:
    „Verdammt! Er ist nicht gerade sympathisch, aber
trotzdem...So sehr hassen Sie ihn?“
    Sie blieb stehen, sah mich an. Dann lächelte
sie. Wie eben, als sie von dem Konzentrationslager sprach. Ich hakte ein: „Tausende
hat’s dort erwischt. Diese Enttäuschung, als er heil wiederkam, hm? Wie Sie
schon sagten: solche Menschen gibt’s, Retter...Sie...Um Gottes willen!“
    Ein Gedanke

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