Stolen Mortality
und Esel auch lieber , und am liebsten mag ich Schafe“, sagte Laine. Sie hob die Hand und legte sie an seine Wange, fuhr über die Bartstoppeln an seinem Kinn und blickte ihn nachdenklich an. Schließlich seufzte sie schwer und die Augen fielen ihr zu.
Als er sie gerade fragen wollte, ob alles in Ordnung sei, begann sie leise zu sprechen.
„Es ändert nichts, wenn wir es hinauszögern, Jamian. Der Prophet Jean de Saint-Rémy hat all seine Vorhersagen in Annalen gesammelt, die nach Ländern und Dekaden geordnet waren. In den Jahrhunderten wurden diese Bücher über die ganze Welt verstreut. Die Prophezeiung vom Ende der Finsteren steht in dem Buch Schottland – 1970 – 2020. Sie gilt als seine bedeutendste Prophezeiung, denn sie kündigt das Ende einer ganzen Rasse an. Das Buch war jahrelang unter Verschluss einer mächtigen Kienshi-Dynastie. Die Prophezeiung wurde Legende und geriet in Vergessenheit.
Doch dann gingen Gerüchte umher, manch eingeweihter Wächter war zu arrogant, um Stillschweigen darüber zu bewahren, dass der alles entscheidende Zug gegen die Vampire unmittelbar bevorsteht. Und so wurde das Buch Anfang dieses Jahres gestohlen. Aus dem Safe des Obersten Senators der Kienshi. Ian Drawn. Hier in Schottland.“
„Sineads Vater“, entfuhr es Jamian. „Aber sie hat gesagt, die Prophezeiung würde den Frieden bringen.“
„Sie hat gelogen.“ Laine machte eine schwache Geste, die ihre Abneigung verriet. „Womöglich ist sie auch selbst belogen worden, wer weiß das schon.“
„Und du kennst die Prophezeiung? Den genauen Wortlaut?“ Jamian gab sich Mühe, das Beben in seiner Stimme zu verbergen, doch es gelang ihm nicht.
Sie nickte kaum wahrnehmbar, fast nur mit den Augen. „Wort für Wort. Ich hielt das Buch in meinen Händen.“
„Wie lautet sie?“, hörte er sich fragen, dabei wollte er es weder wissen noch Teil davon sein. Aber wenn Laine etwas in ihm getötet hatte, dann den Teil, der glaubte, man würde ihn schon in Ruhe lassen, wenn er den Kopf nur tief genug in den Sand steckte. So lief das nicht. Nicht sein Leben.
Mit einem Mal sah Laine wieder auf, eine fast flehende Erwartung ins Gesicht gemalt. „Wir könnten hier verschwinden, Jamian!“ Ihr Lächeln schien bemüht. „Komm mit mir, irgendwohin. Einfach nur fort von hier. Die Welt ist groß. Wir gehen an einen Ort, wo uns niemand kennt. Wo uns niemand findet.“ Ihre Hand rutschte in seinen Nacken, heftig zog sie ihn an sich und küsste ihn auf den Mund. Fordernd, doch mit nervös verspannten Lippen. „Komm mit mir!“, flüsterte sie mit verzweifelt hoher Stimme an seinem Mund. „Wir spielen nicht mehr, wir vergessen, wer wir sind. Für immer.“
„Du weißt nicht, was du sagst.“ Jamian vergrub das Gesicht in ihren Haaren, atmete ihren Shampooduft, in dem er beinah den Rest seiner Standhaftigkeit verlor.
Er hätte so gern Ja gesagt. Einfach weggehen. Seine ganze Welt hinter sich lassen. All diese Lügner, Verräter und intriganten Mistkerle nie mehr wiedersehen müssen. Die Verantwortung ablegen und endlich wieder leben. Ein ewiges Leben mit Laine. Wie unkompliziert die Unsterblichkeit in diesem Wunschtraum plötzlich klang. Aber es würde bei einem Traum bleiben, der sich nicht in die Realität retten ließ.
„Die finden mich“, flüsterte er in ihr Haar. „Überall. Kienshi gibt es auf der ganzen Welt, sie würden uns verraten.“
„Dann beugst du dich den Ketten?“ Laine schob die Finger in den Ärmel seines T-Shirts, als such t e sie dort nach Halt und Schutz. Er hatte weder das eine noch das andere und hasste sich dafür, denn er hätte es ihr gern gegeben.
„Ketten?“, fragte er. „Sind wir im Mittelalter? Es gibt keine Ketten. Unsereins ist mit dünnen roten und blauen Drähten an den Geburtsort gebunden. Und es tut nichts zur Sache, welchen du kappst, die Bombe geht in jedem Fall hoch. Ich kann hier nicht weg. Sie lassen mich nicht.“
Vielleicht hätte er es dennoch riskiert. Ganz sicher hätte er das. Doch dann hätte er Junias zurücklassen müssen. „Und ich lass e mich selbst ebenso wenig. Ich hab e Verantwortung, ob ich sie will oder nicht. Ich kann meinen Bruder nicht alleinlassen . Hier gibt es keinen Weg raus. Nicht in diesem Leben. Und das …“, ironisch zog er eine Schulter hoch, „kann für mich noch ziemlich lang werden."
„Ich habe Angst um dich“, sagte Laine nach einigem Schweigen. „Die Unsterblichkeit bedeutet nicht, dass du nicht sterben kannst. Sie hält dich nur
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