Stolen Mortality
Amys Prana zu nehmen, nicht ewig von sich fernhalten können. Lange konnte er seinen Zustand nicht mehr vor ihr verbergen. Schon den ganzen Morgen mied er den Blick in ihre Augen. Dass diese über Nacht ein dunkles Flaschengrün angenommen hatten, konnte sie nicht übersehen haben. Sie würde ihre Schlüsse ziehen – vermutlich die richtigen – und diese würden ihr Angst machen.
Seine Hände krampften sich in den Lederhandschuhen um die Lenkergriffe, es gelang ihm kaum, die Kupplung langsam kommen lassen. Ruckartig preschte die Yamaha beim Wechseln der Gänge nach vorn und Amy klammerte sich an ihm fest.
Er fuhr grundsätzlich ein wenig schneller als erlaubt. An diesem Tag legte er sogar noch drauf. Der Fahrtwind beruhigte ihn, die schwindelerregende Schwäche ging dadurch auf ein beherrschbares Maß zurück.
Trotz des hohen Tempos näherte sich von hinten plötzlich ein Mercedes mit rasanter Geschwindigkeit, in geringem Abstand noch ein zweiter. Ohne auch nur halbwegs sicheren Abstand zu dem Motorrad zu halten, jagten die schwarzen Limousinen vorbei. Junias musste an den schmutzigen Rand der Fahrbahn ausweichen und hart in die Bremsen greifen, damit die Yamaha auf Laub und Schotter nicht ausbrach. Er hupte erschrocken, konnte durch die getönten Heckscheiben aber keine Reaktion im Inneren erkennen.
„Sind die irre?“, quietschte Amy unter ihrem Helm.
Junias verging es, die einzig infrage kommende Antwort zu geben, denn auf einmal wurden die Wagen langsamer und blieben in einiger Entfernung stehen. Ein Mann im dunklen Anzug stieg aus und gab Junias ein Handzeichen zum Anhalten.
„Scheiße.“ Er kannte diesen Mann. „Was wollen die hier?“
„Wer ist das?“, rief Amy, während er abbremste. Irgendetwas in ihm drängte, umzudrehen und abzuhauen, so schnell das Motorrad fuhr; doch rational gab es dazu keinen Grund. Er hatte nichts Verbotenes getan. Nicht offiziell. Und Amy würde schweigen. Die ungute Ahnung ließ ihn trotzdem nicht los.
Wie auch immer, es war zu spät, um zu flüchten. Ihm blieb nur der Weg nach vorn.
„Musst du nicht wissen“, murmelte er und hoffte, es würde ihr genug Warnung sein, den Mund zu halten. Das plötzliche Stakkato ihres Herzschlags zeigte, dass sie verstanden hatte. Aber – und bei dem Gedanken drohte sein Herz einen Schlag auszusetzen – Magnus würde es ebenso hören.
*
Fassungslos beobachtete Jamian die surreal anmutende Szene vor sich. Das war doch nicht echt. Absurd schien es ihm, wie Sinead die viel größere Laine an die Wand presste und ihr Prana aus dem Körper stahl, als wäre sie ein Magnet und Laines Lebenskraft eine eisernere Flüssigkeit. Laines Lider flatterten über bereits leicht verdrehten Augen. Sie ließ es geschehen. Warum wehrte sie sich nicht, zum Teufel noch mal? Ein Teil in ihm schrie, er müsse dazwischengehen , er müsse etwas tun, sie retten, Sinead aufhalten, Laine helfen, sie auseinanderzerren, irgendetwas tun. Doch der andere Teil seines Gehirns, der den Körper kontrollierte, schien die Situation noch nicht begriffen zu haben oder vollkommen anders einzuschätzen.
Sie hatte ihn tatsächlich töten wollen.
Sie war hier, um ihn umzubringen.
Er hatte es gewusst. Die Gedanken wiederholten sich in seinem Kopf wie eine CD mit Sprung.
Töten wollen. Gewusst. Töten wollen. Gewusst. Töten wollen. Gewusst.
Warum schockierte es ihn? Es war doch eindeutig gewesen. Rachel hatte ihn gewarnt. Er hatte es gewusst.
Aber von ihr, von Laine, bestätigt zu bekommen, dass sie wirklich seinen Tod wollte – dass sie ihn in ein ewig andauerndes, substanzloses Dasein als unsterbliche Leiche schicken wollte –, das war zu viel. Sie, mit der er diese Nacht gestohlen hatte, in der er geglaubt hatte, glücklich zu sein. Sie, in deren Nähe er sich auf eine nie gekannte Weise frei gefühlt hatte; als könn t e er mit ihr alle Grenzen überschreiten und alles sein, was er wollte. Einfach nur er selbst sein.
Sie, die er … die er liebte. Die Erkenntnis, dass sie mehr für ihn war , als nur eine Schwärmerei, mehr als ein Spiel, schockierte ihn mehr als die Tatsache, dass sie ihn töten wollte.
Bryonts, du dummer Vollidiot, sie ist ein Blutsauger. Sie will dich umbringen.
Ein unmenschlicher Laut durchdrang die Stille, doch wer ihn auch ausgestoßen hatte, war sofort wieder ruhig. Sinead riss die Hände zurück und Laines Beine gaben nach. Sie fiel auf die Knie, kauerte sich an der Wand zusammen und kämpfte gegen die Ohnmacht. Ihr ganzer Körper
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