Stolen Mortality
Geist versprüht, und ihre sanfte Ruhe täuschte nicht darüber hinweg, dass sich eine gefährliche Leidenschaft in ihr versteckt hielt.
Jamian packte sich an die Stirn, irritiert von seinen albernen Gedanken. Was war denn in ihn gefahren? Er zwang sich zum Lachen. Gefährlich, das traf es sehr wohl. Den Rest seiner Empfindungen aus jenen Stunden, in denen sein Kopf in ihrem Schoß gelegen hatte, durfte er vermutlich dem Blutverlust zuschreiben. Sie könnte seine Großmutter sein – oder die Großmutter deren Großmutter -, auch wenn sie nicht älter wirkte als achtzehn. So angenehm ihre Hände auch auf seiner Haut gewesen waren, hätte sie erfahren, wer er war, dann hätten diese Hände seinen Hals gebrochen und von seinen Schultern getrennt.
Eine Partisan missachtete die Gesetze und war für ihn damit ein weit größeres Problem als die gelangweilten Blutsauger in Glen Mertha. Sie war der Feind. Er musste herausfinden, was sie hier wollte. Nein, er musste sie vertreiben, mit Gewalt, wenn es notwendig war, oder mit Unterstützung des Senats. Das war das einzig Richtige … und behagte ihm trotzdem nicht.
„Wartest du auf jemanden?“
Jamian sah auf, blickte in die blauen Augen der blonden Frau. Sie stand an den Mini gelehnt, beugte sich leicht zum geöffneten Fenster herab und war sich bestimmt bewusst, dass ihr Dekolleté in dem tief ausgeschnittenen Top bestens zur Geltung kam. Na so was , eben hatte sie noch eine Bluse darüber getragen. Ein silbernes Amulett, einer glänzenden Münze ähnelnd, baumelte zwischen ihren Brüsten.
„Vielleicht auf dich.“
Sein Lächeln schien ihr zu gefallen, sie stütze ihren Unterarm im Fenster auf. „Tatsächlich?“
„Aye, kann schon sein.“
„Und darf ich fragen, wer da auf mich gewartet hat?“
Da spiegelte ihr Amulett für den Bruchteil einer Sekunde seine Züge wider, grotesk verzerrt. Jamian schrak tief in seinem Inneren zurück. Trotzdem legte er seine Hand auf ihren Unterarm. Sie atmete erschrocken ein und ihre Pupillen weiteten sich, als er ganz sanft von ihrer Kraft nahm, ohne ihr Bewusstsein oder ihren Willen zu manipulieren. Nur einen Hauch. Bevor sie sich klar werden konnte, dass diese Berührung etwas anderes war als ein Flirt, hörte er auf. Ob sie das Glimmen seiner Augen überhaupt wahrgenommen hatte?
Sie trat einen Schritt zurück, schien verunsichert. Auch wenn sie nicht gemerkt hatte, was geschehen war, warnte ihr Unterbewusstsein sie. Ihr Herz schlug hastiger und er spürte, wie ihr Adrenalin die Luft auf seiner Haut prickeln ließ. Sie hatte Angst. Gut so. Er würde keine Frau abschleppen, die Angst vor ihm hatte.
„Dorian.“ Er musste ein wenig lachen, es klang bitter in seinen Ohren. „Dorian hat auf dich gewartet. Geh besser. Versuchungen haben immer ihren Preis. Meinen willst du nicht zahlen.“
*
Junias ’ mühsam aufgebaute Ignoranz hielt bis zum Mittagessen.
Er saß allein an einem Zweiertisch in der Cafeteria und blätterte in dem Roman, den er eigentlich bis heute hätte lesen und interpretieren sollen. Aber was hatte er schon von guten Zeugnissen? Sein Job stand fest, von diesem Job würde er leben können. Nicht gut, der Senat bezahlte bescheiden für die zweifelhafte Ehre, die Welt vor den Blutsaugern zu schützen. Aber eher hätte die Nacht selbst ihre Arbeit kündigen können als einer ihrer Wächter. Mit Aussteigern ging man in den Reihen der Kienshi nicht zimperlich um, die wurden entsorgt.
Warum sich also in der Schule abmühen, wenn die Zukunft feststand?
Thomas Gibbs, Brians jüngerer Bruder, stiefelte an seinem Tisch vorbei.
„Sag mal, Freak“, meinte er lässig. „Da Brian gerade mit deinem Motorrad rumfährt … darf ich auch eine Runde?“
Junias war mit einem Sprung auf den Beinen und jagte – zu schnell , als es vernünftig gewesen wäre – aus der Cafeteria und zum Schülerparkplatz.
Damit reichte es endgültig! Jamian und der Senat konnten ihn mal gern haben. Er wollte Blut. Jetzt und hier!
Als er seine Maschine auf dem Parkplatz sah, stutzte er. Sie stand noch genauso da, wie er sie abgestellt hatte. Er ging näher und witterte unauffällig. Nein, hier war keiner von Brian oder seiner Gefolgschaft gewesen, die Aftershavewolken, in die sie sich hüllten, hätte er wahrgenommen.
Junias packte sich entnervt an den Kopf. Natürlich war hier niemand gewesen, aber der kümmerliche Rest seiner Sachen war nun vermutlich auch nicht mehr da, wo er sie in seiner Hektik liegen gelassen hatte. Er war
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