Stolen Mortality
besser?“
Jamians Schulterzucken war ihm Antwort genug. Vermutlich nicht, aber Jamie war nicht der Typ, der lange jammerte.
„Schon okay. Und dir? Wie war die Schule?“
„Hör auf zu reden wie Dad.“ Er schnalzte abfällig mit der Zunge. „Wie soll die Schule schon gewesen sein?“
Jamian boxte ihn leicht in die Seite. „Aye, wie soll die Schule schon sein, wenn man permanent raushängen lässt, wie sehr einem die Sache am Allerwertesten vorbeigeht , und was man doch für ein kleiner, arroganter Scheißer ist. Ganz davon zu schweigen , wie herrlich man sich da in seiner Opferrolle aalen kann.“
„Kann nicht jeder so ’ n toller Hecht sein wie du“, gab Junias zurück. Oder seine Opferrolle so gekonnt überspielen. Jamians Bemerkungen hätten ihn normalerweise geärgert, aber im Moment erleichterte es ihn nur, dass sein Bruder noch der Alte war. Immer noch die gleichen blöden Kommentare. Wie gut, dass Jamian wusste, wie es lief. Nichts wusste der.
„Mein Glück, was?“ Jamian verließ die Küche. „Ich geh hoch, ruf mich, wenn das Essen fertig ist, ja?“
Junias spielte mit dem Gedanken, seinem Bruder ein paar Eier und den Kommentar „Schon fertig – guten Appetit!“ nachzuwerfen. Es war zu verlockend. Abschätzend nahm er den Eierkarton in die Hände und überdachte das Für und Wider. Leider war ihm bewusst, dass Jamian sich revanchieren würde. An wem das anschließende Saubermachen hängen blieb, stand auch schon fest. Daher begnügte er sich mit der Vorstellung seines eitlen Bruders mit rohem Ei in den Haaren, kicherte in sich hinein und stellte den Pappkarton in den Kühlschrank.
Dass er kochen sollte , ging in Ordnung. Er konnte wenigstens kochen. Jamians Küchenexperimente mochten ja interessant anzusehen sein und trugen exotische Namen, aber essen konnte man sie in den seltensten Fällen.
Essen ist fertig ! , ließ Junias Jamian eine knappe Stunde später wissen, aber es kam keine Antwort.
„Jamie?“ Vermutlich schlief er. Nach allem, was er in den letzten vierundzwanzig Stunden durchgemacht hatte, musste er am Ende sein.
Auch in Junias ’ Innerem brodelte es wieder. Wie ein Junkie, dachte er abfällig; mit dem Unterschied, dass jeder Junkie einen Entzug machen konnte. Ihn würde ein Entzug umbringen. Auf dem Weg nach oben warf er sich einen Blick im Spiegel zu. Ein leichenblasses Gesicht mit dunkelgrünen Augen gaffte zurück. Zu allem Überfluss auch noch ein paar Pickel. Ungerecht. Selbst die verdammten Blutsauger hatten nach ihrer Verwandlung makellose Haut. Er hatte Pickel. Einfach ungerecht.
„Jamian?“, fragte Junias noch einmal, als er leise gegen dessen Tür klopfte.
„Hmm“, kam die Antwort und Junias trat ein. Jamian saß in Gedanken versunken auf seinem Schreibtisch direkt am Fenster, wo er noch Tageslicht hatte. Er hatte den Rücken an die Scheibe gelehnt, die Beine angezogen, die Füße auf dem Tisch abgestellt und zeichnete. Der Block ruhte auf seinen Oberschenkeln. Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe, ein paar Kohlestreifen zierten sein Gesicht. In dem Zustand war er meist nicht ansprechbar; dass er Junias nicht geantwortet hatte, war kein Wunder.
Flüchtig blickte sich Junias im Zimmer um. An den Wänden hingen einige Schwarz -W eiß-Zeichnungen. Nur wenige waren Jamian einen Rahmen wert, obwohl sie allesamt gut waren. Die meisten hatte er einfach mit Reißzwecken an die Tapete gepinnt, sie verschwanden immer nach kurzer Zeit, um durch neue ersetzt zu werden.
Die Auswahl spiegelte Jamians Launen stets treffend wider. Derzeit hing das Haus an der Wand, einmal im aktuellen Zustand und einmal völlig verfallen mit vermoosten Außenwänden und zerbrochenen Fensterscheiben – ein seltsamer Anblick. Die Kirche von Glen Mertha; ein paar Bilder, die die Landschaft zeigten; unter anderem einen See am Waldrand. Eine Karikatur von Jesus am Kreuz mit den Worten „Mehr Nägel, bitte – ich rutsche“. Ein großes Bild von Edinburgh Castle, es war über einen Meter breit und fast genauso hoch und besaß tausend winzige Details. Außerdem eine Zeichnung vom jungen Anakin Skywalker im Kampf gegen sein älteres Selbst, Darth Vader. Schwer absehbar, wer gewinnen würde, im Bild schienen die Chancen ausgeglichen. Die letzten beiden Arbeiten hatte Jamian unter Glas eingerahmt. Sie würden wohl eine Weile hängen bleiben.
„Was malst du denn da?“ Junias versuchte, einen Blick auf den aktuellen Entwurf zu erhaschen.
Jamian kippte den Block zur Seite.
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