Stolen Mortality
eingestehen, die Problematik noch nie aus diesem Blickwinkel gesehen zu haben. Nie aus der Sicht der Vampire. Hatte ihn deren Meinung je interessiert? Nicht zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie jung und unerfahren er war, verglichen mit denen, über die er wachte. Absurd, wenn man darüber nachdachte, aber es funktionierte immerhin schon seit Hunderten von Jahren und ändern konnte er daran nichts.
„Ich danke dir für deine Warnung, Rachel.“ Das meinte er ehrlich. „Ich muss euch trotzdem auffordern, diese Sache mir zu überlassen. Ich möchte den Grund für ihr Kommen herausfinden.“
„Du kannst uns nicht verbieten, einen Vampir zu jagen.“ Ihre Stimme war wieder kalt geworden. „Das liegt nicht in deinem Ermessen.“
„Aber es liegt in meinem Ermessen, jeden Vampir zu jagen, den ich jagen möchte.“ Auch das meinte er ehrlich. „Halte dich an meine Anweisung, wenn du diese zweifelhafte Ehre nicht erlangen willst.“
Bevor Jamian seine scharfen Worte bedauern konnte, drückte er das Gespräch weg. Erst danach stieß er ein paar scharfe Flüche auf sich selbst aus. Und auf das verdammte Vampirmädchen, für deren Leben er den Frieden riskierte, ob sie ihn nun umbringen wollte oder nicht.
Er dachte an Junias ’ Worte – Was soll ’ s, sie ist ja hübsch! – und lachte abfällig über seine eigene Blauäugigkeit, mit der er sich einredete, dass er die Sache schon hinbiegen würde.
Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt und sandte mit aller Kraft ihre Wärme Richtung Erde, doch Regenwolken hatten sich unlängst auf den Weg gemacht, ihr die Aussicht auf das Land streitig zu machen.
Das wurde auch langsam Zeit. Es hatte schon seit vier Tagen nicht mehr geregnet. Ein dürrer Frühsommer für schottische Verhältnisse.
Jamian legte den Zeichenblock in die Schublade, als er ein Motorrad hörte. Es war nicht Junias ’ Enduro, sondern eine schwere Maschine. Er kannte nur eine Person, die so ein Motorrad fuhr, und nach deren Gesellschaft stand ihm nicht der Sinn. Was Sinead hätte wissen müssen. Vorsichtshalber schloss er die Schublade zu und steckte den Schlüssel in die Hosentasche seiner halblangen Khakihose. Sinead war neugierig und machte sich nichts aus Privatsphären, die nicht ihre eigene waren. Eilig zog er sich ein T-Shirt über. Besser nichts herausfordern.
Beim Gedanken an seine Exfreundin flammte das Brennen des Gifts in seinem Körper wieder auf, das er zuvor verdrängt hatte. Dass sie sich herwagte! Er ging nach unten, um sie vor dem Haus zu erwarten. Sie sollte gar nicht erst reinkommen.
Das Motorrad schoss auf ihn zu. Eng um Sineads zierliche Statur schmiegte sich eine schwarze Lederkluft, unter der es bei den Außentemperaturen abartig heiß sein musste. Sie bremste die Maschine erst im letzten Moment. Das Hinterrad machte einen Hüpfer, als das Vorderrad keine zwanzig Zentimeter vor Jamians Füßen abrupt zum Stehen kam. Sinead bockte das schwere Motorrad mühelos auf und nahm den Helm ab. Sie warf ihm ein strahlendes Lächeln zu, während sie die Haare ausschüttelte. Die erreichten inzwischen fast ihre Schultern . Hatte er sie so lange nicht mehr gesehen?
„Hallo Jamie!“ Ihr Trällern klang bestens gelaunt. Sinead hatte bekommen, was sie wollte. Einen Artgenossen – und der Dumme war er. Mit dem Unterschied, dass sie die Unsterblichkeit, oder vielmehr die ewige Jugend, die ihr das Bedeutende an der Sache war, nicht aufgedrängt bekommen hatte. Sinead hatte sich die zweifelhafte Ehre in Form des Serums schlichtweg mit einer List ergaunert. Sie würde ihr Leben lang den Körper einer Achtzehnjährigen behalten und überspielte in Perfektion, dass sie inzwischen fast fünf Jahre älter war.
„Was gibt es, Sinead?“ Jamian mühte sich ein mehr oder weniger freundliches Lächeln ab. Seine Gefühle ihr gegenüber waren konträr. Mehr noch, sie waren gespalten, von einer Schlucht in den Ausmaßen des Mariannengrabens. Er hätte Sinead gern mit Leidenschaft gehasst. Leider banden ihn zu angenehme Erinnerungen an sie. „Wolltest du schnuppern kommen, ob Catherine ihre Sache richtig gemacht hat?“
Sinead lachte glöckchenhell und küsste ihn zur Begrüßung ungerührt auf die Wange.
„Hm, der Duft der Ewigkeit. Das riecht wirklich gut an dir.“
Das Leck mich! lag ihm auf der Zunge, aber er verbot sich, auf ihre Provokation einzugehen und zog nur vielsagend den Mund schief.
„Ich hatte angenommen, dass wir mal wieder was gemeinsam unternehmen könnten.“
„Ah. Was
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