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Stollengefuester

Stollengefuester

Titel: Stollengefuester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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nach einer Weile hinzu.
    Nore Brand schwieg.
    »Tun die das, weil wir uns keine richtige Armee mehr leisten können?«
    »Die Armee, die wir uns leisten können, macht sich Gedanken über die Qualität der Verpflegung und die ideale Weichheit der Armeematratzen«, spottete Nore Brand. »Das habe ich aus erster Hand. Einer der jugendlichen Beschützer meiner Heimat väterlicherseits hat es mir verraten.«
    Nino verzog sein Gesicht.
    »Du wärst nicht anders. Wir haben ja auch gar keine Feinde.«
    »Aber auch keine Freunde. In Europa.«
    »Und du meinst, dass uns dieser Schatz im Berg einen Freund verschafft?«
    »Immerhin so etwas Ähnliches wie einen Freund.«
    »Wie meinst du das?«
    »Er wird unser Land beschützen – aus lauter Eigennutz.«
    »Freund?«, schnaubte Nino. »Dann noch lieber keinen Freund als so einen.«
    »Philosophieren hilft uns nicht weiter. Unser Kollege Bucher meint, dass wir uns umsehen müssen. Dass der Direktor zu Tode gestürzt ist, gefällt ihm nicht, und dass der Dorfpolizist nicht erfahren darf, wo das geschah, ist schon ziemlich seltsam.«
    »Dass Bucher dich überhaupt hergebeten hat, nach allem, was geschehen ist! Das ist das reinste Wunder.«
    »Kein Wunder, nur ein Zeichen dafür, wie groß sein Misstrauen dem Chef gegenüber sein muss.«
    »Dass du die Dinge immer anders sehen musst.«
    Sie saßen eine Weile schweigend im kalten Bus. Die Frau mit der Pelzmütze stand vor ihrem Wohnmobil und klopfte einen Teppich aus. Sie unterbrach ihre Tätigkeit hin und wieder, um ihnen einen misstrauischen Blick zuzuwerfen. Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände: Hoffnungsvoll argwöhnte sie Ehebruch und Unzucht. Sodom und Gomorrha. Das Ende aller Sitten.
    Nino war ihrem Blick gefolgt. »Die ist froh, dass wir hier sind. Ihre Fantasie scheint dringend Nahrung zu brauchen.«
    Nore Brand zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch. »Ich gehe jetzt. An meine Arbeit.«
    »Arbeit?«
    »Ich versuche, die Kosmetikerin auszuhorchen. Coiffeure und Kosmetikerinnen sind die intimsten Freunde einer Frau. Die meisten Psychiater können nur träumen von den Möglichkeiten, die einem Coiffeur offenstehen in Bezug auf Einsicht in die Abgründe der Menschheit.«
     
    Nore verließ den Bus durch die seitliche Schiebetür. Mit einem heftigen Ruck, auf den ein lauter Knall folgte, gelang es ihr, diese zu schließen.
    Hinter der Scheibe sah sie, wie Nino einen Daumen hob. Diesen Kraftakt hatte sie erfolgreich hinter sich gebracht. Sie musste akzeptieren, dass dieses Gefährt jede Möglichkeit des leisen und heimlichen Auftritts ausschloss.
    Die Berner Polizei stand mitten auf dem Camping Seegarten, logierte in einem tomatenroten, mit einer erstaunlichen Anzahl von Lebensbeulen gezeichneten VW-Bus, der sich nur mit lärmenden Aktionen öffnen und schließen ließ.
    Was für ein Glück, dass sie bisher nicht auf den Rückwärtsgang angewiesen gewesen waren.
    Überhaupt: Welcher Pessimist hatte den Rückwärtsgang erfunden?
    Das Leben liegt vor dir, Nore Brand. In diesem Tal ist Platz genug, mit Köpfchen vorwärts fahren wird ausreichen.
    Nore Brand machte sich auf den Weg ins Dorf. Sie hatte eine Mütze aufgesetzt. Sie durfte unter keinen Umständen erkannt werden. Die Menschen vergessen rasch, beruhigte sie sich. Ein Jahr war es nun her. Das musste genügen.
    Sie schaute zu den von Tannen überwachsenen Felsen hinauf, die über dem Lenkersee aufragten. Ihr Blick ging weiter nach Westen. Dort hinten im unwegsamen Gelände, in einer Höhle im Berg, dort befand sich das Geheimnis der roten Klara.
    Sie hatte vergeblich gehofft, dass auch sie rasch vergessen würde. Doch das ungute Gefühl war irgendwo in ihren Eingeweiden stecken geblieben.
    Bastian Bärfuss hatte diese Geschichte nie ad acta gelegt. Er hatte es immer wieder versucht. Nachgefragt.
    »Nore, was war das mit dem Trojanischen Pferd?«
    Nore hatte jedes Mal abgewinkt und sich bemüht, ihr Unbehagen vor ihm zu verbergen. Das Trojanische Pferd? Das sei ihr einfach so eingefallen, nichts weiter. Bastian Bärfuss hakte nicht nach, aber sie spürte seinen fragenden Blick.
    Natürlich wusste sie, was er dachte. Sachen verschweigen, Informationen zurückhalten, das war gefährlich in ihrem Beruf, unzulässig. Schlimmer: Es war absolut unprofessionell.
    Aber der Anwalt Merian hatte ihr ein Versprechen abgenommen.
    Sie hörte seine Stimme, sein meckerndes Lachen. Er war zweifellos ein anständiger Freund, wie ihn Klara Ehrsam auch verdient hatte.
    Liefen jetzt die Dinge

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