Stollengefuester
Wunder, bei diesem alten Fuhrwerk. Dabei hatte die Gebrauchsanweisung ein Kinderspiel versprochen. Alles fix, zehn Minuten höchstens. Auch für den Ungeübten.
Nino zog umständlich die Stöpsel aus den Ohren.
»Und? Was tun wir jetzt?«
»Du suchst Bucher und ich statte dem Grandhotel Belvedere einen Besuch ab. Der Augenblick ist gekommen, um der lustigen Witwe etwas auf den Zahn zu fühlen. Oder sonst jemandem, der mir dabei über den Weg läuft. Jetzt spielen wir ein bisschen Blindekuh.«
»Hast du dein Handy eingeschaltet?«, fragte Nino.
»Es war nie ausgeschaltet.«
»Hat es Power?«
»Solange ich selbst Power habe, ist das eine Nebensache, oder?«, gab sie zurück.
Er schmiss die Autotür zu und stapfte beleidigt weg.
Sie schaute ihm nach. Er war manchmal zu fürsorglich in technischen Dingen. Sie wollte ihm ein Sorry nachrufen, doch sie unterließ es. Sie würde es später nachholen.
Ihre Gedanken blieben seit Stunden an der Witwe kleben. War sie das Pokerface? War es menschenmöglich, dass sie auf so gefährlich hohem Niveau spielte?
Nore Brand ging die letzten paar Hundert Meter zu Fuß weiter.
»Frau Brand! Endlich!«, rief ihr der junge Mann entgegen, dessen Namen und Gesicht sie so oft vergessen hatte.
Sie ärgerte sich wieder über sich selbst. Wie hieß er doch? Krawattenfrettchen, hatte Nino gesagt.
Dann stand sie vor ihm. Sie warf wie beiläufig einen Blick auf sein Namensschildchen. Viktor Heller.
Dieser Name war ihr beim Durchblättern ihrer Notizbüchlein nicht begegnet.
Heller streckte ihr seine Hand entgegen, er schien sehr erleichtert, sie zu sehen.
»Sie haben sicher gehört, dass unser Direktor einen Unfall hatte.«
»Ja, herzliche Anteilnahme. Das tut mir sehr leid«, sagte sie.
Er schaute erwartungsvoll zur Tür. »Und wo ist Ihr Assistent?«
»Er hat einen anderen Auftrag.«
»Ah.« Er wirkte erleichtert.
Nicht alle vermissten Nino Zoppa; sie war das längst gewohnt.
Sie schaute Viktor Heller an. Diesen Kerl hatte sie tatsächlich vergessen, dabei hatte sie vor wenigen Tagen erst erfahren, dass er in die Fußstapfen des Direktors getreten war.
Sie hatte den Thronfolger vor sich.
»Ich möchte gerne mit der Frau Direktor sprechen«, sagte sie.
»Sie ist unterwegs. Sie ist erst am späten Nachmittag zurück. Geschäftsreise«, sagte er knapp.
Geschäftsreise?
»Ist sie länger weg gewesen?«
Er lächelte. »Sie müssen das unbedingt wissen? Ja, dieses Mal war es etwas länger.« Er schaute sie prüfend an.
»Wo war sie?«
Er stützte sich auf die Theke und schaute in die Runde. Es war ruhig im Haus. Nur das leise Brummen eines Staubsaugers war zu hören. Es war Mittagspause. Neue Gemälde hingen in der Hotelhalle. Ein Mensch mit Leidenschaft für Berglandschaften in der Abendsonne hatte seine Chance bekommen. Glühende Bergspitzen, graue Felsen im Abendschatten und dunkle Tannenwälder. Die roten Punkte auf den Bilderrahmen zeugten von zahlreicher Käuferschaft.
Er war ihrem Blick gefolgt. »Entsetzlich, nicht wahr?«, flüsterte er. »Dass jemand das kauft. Ich rate Ihnen, bei den Preisen nicht genau hinzuschauen. Das glaubt einfach keiner, der etwas davon versteht.« Er lächelte ihr verschwörerisch zu.
Sie war überrascht. Er hatte ihre Gedanken lesen können.
Weil sie beide das Gleiche dachten.
»Sie ist ein paar Tage weg, aber es wird Sie kaum interessieren, wo sie war. Hauptsache, sie ist heute Abend zurück.«
Doch, es interessierte sie, sehr sogar.
Er schien zu zögern.
»Sie könnten mich zu einer Aussage zwingen. Sie sitzen am längeren Hebel, was das betrifft.« Er lächelte und schaute sie aufmerksam an. »Wir haben Verbindungen mit Holland. Amsterdam, um genau zu sein.«
Amsterdam! Also doch.
Er schaute sich um und lehnte sich über die Theke.
»Frau Brand«, sagte er mit unterdrückter Stimme, »da ist eine Sache, die mich sehr beunruhigt. Beim Flugplatz. Ich nehme an, dass Sie etwas wissen.«
Noch eine Überraschung.
»Hene Hari hat mich gebeten, Sie sofort hinzuführen, sobald Sie hier sind.«
Sie staunte. Viktor Heller und Hene Hari. An eine solche Verbindung hatte sie noch keine Sekunde gedacht.
»Kommen Sie. Der Wagen steht bereit. Ich habe heute die Schneeketten montiert. Der Winter kann kommen.«
Ja, von jetzt an würde es schneien. Wie der Wetterbericht es prophezeit hatte. Sie hoffte, dass sie die Schneeketten dabeihatte.
Ein eleganter schwarzer Audi stand vor dem Hotel bereit.
Er öffnete eilig, aber galant die
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