Stollengefuester
keiner seiner Kollegen in diesem Wagen gesehen. Er hatte für alle Fälle Vorkehrungen getroffen. Wann immer ihm eine Fahrt mit Nore Brand drohte, zog er ein Kapuzen-Shirt an. Im richtigen Moment zog er das Tuch hoch, und sein Ruf war noch mal knapp gerettet.
»Also hat jemand das Projekt von Klara Ehrsam unterwandert, und sie finanzierte, genau genommen, nichts als diese gigantische Gaunerei«, sagte er.
»So stelle ich mir das vor.«
»Dann war unser Vladimir mit Sicherheit auch ein Gauner?«
»Er ließ sich erpressen. Das heißt, er war erpressbar.«
»Was bedeutet, dass er wohl auch einer war. Aber der größte Gauner ist noch frei.«
»Der dreifache Mörder.«
»Könnte es eine Frau sein?«
»Ja, immer noch. Kommt drauf an, welche Schuhgröße die Witwe des Direktors hat.«
»Die Schuhgröße? Was soll jetzt die Schuhgröße für eine Rolle spielen?«
Nore berichtete, was sie von Bastian Bärfuss erfahren hatte.
»Aha. Entwicklungshilfe nennt man das. Bucher musste nur ganz alleine zu Ende denken und etwas unternehmen. Und er hat es gemacht. Kinderspiel«, sagte Nino verächtlich.
»Eben nicht«, widersprach sie, »ich kenne nicht viele, die das noch tun. Zu Ende denken, meine ich.«
Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Ich meine nicht dich.«
»Das sagst du so.«
»Bucher wird stolz sein, wenn er den Gauner identifizieren kann. Ich hoffe, dass es ihm gelingt.«
»Schuhgröße 41? Mona hat an ihren Winterschuhen auch 41. Dann könnte es auch die Witwe gewesen sein. Doktor Fischer hat sicher viel größere Flossen, was meinst du? Das ist ein Riesenkerl mit Paddelbooten am unteren Ende.«
Sie schwieg.
»Obwohl, ich kann mich nicht erinnern«, fuhr er weiter. »Gibt es große Männer mit kleinen Füßen?«
»Vielleicht haben wir genau so einen übersehen«, sagte sie.
»An wen denkst du?«
Nore Brand antwortete nicht.
Okay. Die Frage war blöd. Aber vielleicht weniger blöd, als sie dachte.
Er versuchte, sich zu erinnern. Wer konnte noch die Finger im Spiel haben? Oder die Füße?
»Welcher dieser Kerle hat den längsten Finger und dabei einen kleinen Fuß?« Er starrte auf den leuchtenden Stein auf dem Display. Rot war er magischer, fand er.
»Du denkst immer an einen Kerl.«
»Ich kann dieses ekelhafte Rasierwasser nicht vergessen. Es muss ein Kerl sein.«
»Oder eine Frau, die sich mit diesem Rasierwasser tarnt. Das war deine Idee«, erinnerte sie ihn.
»Eine Unbekannte? Ist das möglich?«
»Oder ein Unbekannter.« Sie lachte widerwillig. »Merian hat das große Geheimnis herumgeplaudert. Das weiß ich erst seit heute.« Sie schlug mit der Faust auf das Steuerrad. »Und ich große Idiotin glaubte, eine der ganz wenigen Eingeweihten zu sein!«
»He, pass auf! Dein Wagen fällt gleich auseinander!«
»Und wenn schon! Nino, ich weiß einfach, dass wir jemanden übersehen haben! Ich hasse diesen Gedanken!«
Ninos Gesicht wurde wieder todernst. »Shit.«
»Ja, mindestens!«
Er schaute sie von der Seite an. Sie saß vornübergebeugt am Steuer und starrte grimmig auf die Straße. Von jetzt an würden sie eine Runde schweigen. Weil sie von jetzt an nichts mehr wussten.
Er holte seinen i-Pod heraus. Der Count-down hatte begonnen. Er begann immer mit dieser schrecklichen Ruhe vor dem Sturm.
Er schob die Stöpsel so tief wie möglich in seine Ohren, damit Nore Brands Schweigen auszuhalten war. Sie würde jetzt eine Weile grimmig dreinschauen und wenig später, ganz unvermittelt, würde sie sich entspannen und tun, als ob ihr die ganze Welt egal wäre. Sie hatte dann diesen unsäglichen Kranich-Tanz-Blick oder was das war, so, als ob sie direkt ins Jenseits schaute oder ins Nirwana. Doch egal, wohin, am allerschlimmsten war, dass sie diesen Kranich-Tanz ganz ehrlich für Sport hielt!
Normalerweise lachte er sich kaputt bei diesem Gedanken.
Aber jetzt war leider nicht der Moment für einen Lachkrampf. Da musste er schon warten, bis alles vorbei war. Hoffentlich hatte er zu diesem Zeitpunkt auch noch allen Grund dazu.
Eine Stunde später waren sie an der Lenk.
Im Dorfzentrum hielten sie an. Eine junge Frau malte einen Weihnachtsbaum auf die Vitrine der Bäckerei.
»Fröhliche Weihnachten«, murmelte Nore Brand. »Hoffen wir, dass es dann auch so ist.«
Nino Zoppa legte seine Stirn in Falten. Wenn es so weiterschneite, würden sie die Schneeketten montieren müssen. Das letzte Mal hatten sie dazu mindestens drei Stunden im Schnee gelegen, bis es schließlich geklappt hatte. Kein
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