Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stolperherz

Stolperherz

Titel: Stolperherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
Vom Netzwerk:
pellen.
    »Warte, ich helfe dir.« Sie zog mir das Kleid wieder über. »Du musst den Reißverschluss schon noch erst aufmachen«, sagte sie schmunzelnd. »Du trägst nicht oft Kleider, nicht wahr?«
    Ich schüttelte den Kopf, der Schweiß stand mir mittlerweile auf der Stirn.
    »Nein.«
    »Hab ich mir gedacht.«
    Sie hielt mir ein kanarienvogelgelbes Kleid mit U-Boot-Ausschnitt hin, das in der Taille mit einer schmalen Kordel zusammengehalten wurde. Es war ein so warmes und schönes Gelb, dass ich es auf den ersten Blick mochte.
    »Das ist sicher besser«, sagte sie, und übergab der Verkäuferin den Thrombosestrumpf, der sich Etuikleid schimpfte. »Du wirst sie alle umhauen«, schwärmte sie und es klang wirklich nach echter Begeisterung.
    Beim Bezahlen hatte ich gleich den nächsten Schweißausbruch, denn die Sachen lagen nicht ganz innerhalb meiner gewohnten Preisliga. Aber ich wollte sie, denn Kira hatte recht gehabt: Vor allem das gelbe Kleid passte zu mir, oder ich zu ihm. Es war, als hätte man mich ausgegraben und in einen Sonnenstrahl gesetzt, im ersten Moment war ich mir selbst ganz fremd gewesen. Doch nach anfänglicher Skepsis fühlte ich mich ganz und gar wohl darin, und ich fand sogar, dass die roten Chucks super dazu harmonierten, auch wenn der Look zugegebenermaßen ein wenig gewöhnungsbedürftig war. Zusammen mit den roten Haaren sah ich aus, als strotzte ich nur so vor Selbstbewusstsein. Ich kam mir schon ein wenig komisch vor, gleichzeitig aber genoss ich dieses Gefühl vom neuen Ich. Unauffällig war das nun wirklich nicht mehr, aber mich weiter zu verstecken, dazu hatte ich ebenso wenig Lust. Das hier war ein neues Kapitel im Leben der Sanny Tabor, beschloss ich, was war dagegen schon ein läppisches Bargeldschrumpfen?
    Als wir aus dem klimatisierten Geschäft kamen und uns die Hitze entgegenschlug, beschloss ich, dass es Zeit für ein Kaltgetränk war. Ich hatte das Kleid direkt angelassen und meine alten Sachen zu den anderen in die Einkaufstüte gestopft. Es fühlte sich so luftig an, fast wie befreit, obwohl ich mir auch gleichzeitig ein wenig nackt vorkam. Immerhin trug ich praktisch nie Kleider und besaß nur ein einziges, doch das zählte nicht richtig, denn es war das Kleid, das ich zu Großtante Lilos Beisetzung getragen hatte.
    »Wie wär’s mit einem Eiskaffee als Dankeschön für die tolle Beratung?«, fragte ich Kira.
    »Ja, gern«, antwortete sie, und wir schlenderten die Straße hinunter. Ich schaukelte die braune Pappkartontüte mit den edlen Henkeln neben mir her, während wir Ausschau nach dem nächsten Eiscafé hielten.
    »Darf ich dich was fragen?«, sagte ich, ohne Kira anzusehen.
    »Klar.«
    »Warum hast du mir geholfen?«
    »Ich bin eben eine gute Styling-Beraterin«, antwortete Kira, »zumindest sagt man das von mir.«
    »Das meine ich nicht«, erklärte ich. »Warum hast du gerade mir geholfen?«
    »Ich hab dich schon verstanden«, sagte Kira und klang auf einmal traurig. »Vielleicht, weil ich nichts anderes gut kann.«
    »Wie meinst du das?«, wollte ich wissen.
    »Ich meine, mich mögen alle nur wegen meines Aussehens. Ihnen ist egal, wie oder wer ich wirklich bin. Bei dir ist das anders.«
    Ich war baff. Dass die wunderschöne Kira ein Problem mit ihrem Aussehen haben konnte, hatte ich nun wirklich nicht vermutet. Aber es stimmte wohl: Die Dinge, die einen Menschen ausmachten, waren von außen nicht zu erkennen. Genau das war es ja, was das Leben so schwer machte.
    »Das klingt vielleicht wie ein lächerliches Luxus-Problemchen von der arroganten Diplomatentochter«, erklärte Kira weiter, während wir uns an einen der runden Metalltische des Eiscafés setzten, das sich soeben vor uns aufgetan hatte. »Aber manchmal wünschte ich mir, die Leute würden etwas anderes in mir sehen als nur die äußere Hülle.«
    »Hm«, machte ich, denn mir fiel nichts dazu sein. Ich war so erstaunt, dass ich das erst mal verdauen musste.
    »Keinen interessiert meine Meinung«, erzählte Kira, »ich meine, den meisten ist es sogar lieber, wenn ich einfach den Mund halte.«
    »Das glaube ich nicht«, widersprach ich jetzt. »Und außerdem bist du nun mal wunderschön. Man kann niemandem verübeln, jemanden schön zu finden.«
    »Ich finde mich selbst gar nicht so schön«, ergänzte Kira, »ich finde dich viel interessanter.«
    Sie lächelte mich an, aber diesmal war es kein Verlegenheitslächeln, wie ich es sonst von ihr kannte, sondern echt. Ich musste ebenfalls grinsen, und kam mir

Weitere Kostenlose Bücher