Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
den Blick und sah ihn an. Ihre tiefschwarzen, dichten Wimpern hoben sich fedrig weich wie Rabenflügel von ihrer blassen Haut ab. »Gerüchte, dass einer oder mehrere deiner Brüder vielleicht noch am Leben sind.«
Sie erstarrte, und ihr Gesicht war völlig emotionslos. Es war der Ausdruck von jemandem, der gerade einen Schock erlitten hatte – oder etwa nicht? Oder war es der Ausdruck von jemandem, der Angst hatte?
Sie krallte die Finger in die geschnitzten Armlehnen des Stuhls, bis die Knöchel weiß hervortraten, und er schwor, dass er sehen konnte, wie sich ihr die winzigen Härchen im Nacken sträubten. Alles an ihr wirkte entsetzlich zerbrechlich – als wäre sie aus Glas, das jeden Augenblick zerspringen konnte.
Sie starrte ihn an und wartete auf Antworten. »Glaubst du ihnen? Ist an diesen Gerüchten etwas Wahres dran?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sag mir genau, was du gehört hast.«
Sie war zu ruhig. Zu vernünftig. Er hatte erwartet, dass sie zur Tür hinaus und die Treppe hinunter in den Burghof stürmen und ein Pferd verlangen würde. Er hatte Tränen erwartet. Heftige Emotionen. Er wusste, wie sehr sie ihre Familie geliebt hatte. Wie ihr Tod sie am Boden zerstört hatte.
Sie wusste es.
Er wiederholte, was er von seinem Cousin erfahren hatte, und erzählte ihr von seiner Reise nach Lomond, um nach ihnen zu suchen, und dass er nichts gefunden hatte.
Anstatt ihm weitere Fragen zu stellen, starrte sie ihn nur an, mit vorwurfsvoll schmalen Augen. »Du weißt das seit über einer Woche und hast bis eben nicht daran gedacht, es mir gegenüber zu erwähnen?«
»Ich wollte deine Hoffnungen nicht schüren, solange ich nicht mehr wusste.«
»Du hältst mich für ein Kind.«
»Nein, für jemanden, den ich vor weiterem Leid beschützen möchte. Kannst du mir denn vorwerfen, dass ich nicht möchte, dass du noch mehr Schmerz erleidest? Du fängst doch gerade erst an, dich davon zu erholen.«
»Nicht erholen«, sagte sie versteinert. »Mich damit abzufinden.«
»Ich weiß, es war schwer für dich, aber du kannst nicht bestreiten, dass du in den letzten Wochen glücklicher warst.«
»Nein«, sagte sie und wandte sich ab. »Das bestreite ich nicht.«
»Dann kannst du ja vielleicht mein Zögern verstehen.«
Doch es war offensichtlich, dass sie das nicht tat. »Und du hast nur deshalb beschlossen, mir etwas davon zu sagen, weil Seamus verschwunden ist.«
Er nickte.
»Ich verstehe.« Sie stand auf, ging zum Kamin und starrte steif in die glimmende Glut des brennenden Torffeuers.
War sie nur wütend, oder versuchte sie, seinem Blick auszuweichen?
Er hasste das Gefühl des Misstrauens, das ihn durchströmte, aber jede Faser seines Körpers schrie, dass sie mehr wusste, als sie ihm sagte.
Sie verkrampfte sich, als er näher trat. Sanft umfasste er ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Die zarte
Haut war wie weicher Samt unter seinen Fingerspitzen. »Wusstest du es, Caitrina?«, fragte er leise. »Hast du von einem deiner Brüder Nachricht erhalten?«
Der Pulsschlag der Ader an ihrem Hals flatterte wie die Flügel eines gefangenen Vogels. Mit einem einzigen weichen Druck seines Daumen könnte er ihn zum Stillstand bringen. Sein Griff verhärtete sich.
Der Atem stockte ihr in der Kehle. Sie zögerte. Ihr Kinn zitterte unter seinen Fingerspitzen. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich wusste nichts von diesen Gerüchten.«
Ihr Leugnen fühlte sich an wie ein eiskalter Schlag ins Gesicht. Die blauen Teiche ihrer Augen waren aufgewühlt wie die stürmische See, voll wirbelnder Gefühle und Emotionen. Wenn sie ihn anlog, und alle seine Instinkte sagten ihm, dass sie es tat, dann nicht ohne Schuldgefühle – ein geringer Trost für diesen Verrat. Er hatte geglaubt, dass sie ihn liebte. Narr .
Ihre Augen baten ihn flehend um Verständnis, selbst während ihr die Lüge über die Lippen kam. Diese vollen, roten Lippen mit ihrem sinnlichen Schwung, die ihm so viel Vergnügen bereitet hatten. Ihr Haar begann, in der Wärme des Zimmers zu trocknen, und kleine weiche Löckchen ringelten sich an den Schläfen und streiften die rosig gerundeten Wangen.
Gott, sie war wunderschön. Und er wünschte sich mit herzzerreißender Heftigkeit, dass sie sein wäre. Doch zum ersten Mal kam er nicht einmal in Versuchung, sie in die Arme zu nehmen und sie zu trösten. Sie hatte sich entschieden, ihre Loyalität ihrer Familie zu schenken und nicht ihm. Vielleicht hätte er das erwarten sollen. Aber was er
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