Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
war, dann hätte er sich sicher dazu verpflichtet gefühlt, den MacGregors zu helfen, ganz gleichgültig, wie groß das Risiko war. Doch was wirklich schmerzte war die Tatsache, dass sie davon nichts gewusst hatte. Sie war im Dunkeln gelassen worden. Durch Unwissenheit war sie nicht auf Kummer vorbereitet gewesen, und sie schwor sich, dass ihr das niemals wieder passieren würde.
Im Nachhinein erkannte sie, dass es Warnzeichen gegeben hatte, besonders im Hinblick auf Jamie Campbell. Es war offensichtlich, dass ihr Vater sie gedrängt hatte, Jamies Antrag anzunehmen, weil er wusste, dass sie seinen Schutz möglicherweise brauchen würden.
Schuldgefühle stiegen in ihr hoch. Wären die Dinge anders verlaufen, wenn sie seiner Bitte nachgekommen wäre? Hätte Jamie sie beschützt?
Caitrina wusste nicht, was sie glauben sollte, doch eines war sicher: Sie musste ihre Verteidigungsmauern gegen Jamie verstärken, um weiteren Angriffen standzuhalten. Dieses Mal mochte sie ihn zwar losgeworden sein, doch sie wusste, dass er zurückkommen würde.
Sie musste sich ein für alle Mal seiner Reichweite entziehen – was bedeutete, dass sie sich möglichst schnell einen Ehemann suchen musste. Gleich heute, nach dem Mittagsmahl würde sie mit ihrem Onkel sprechen.
Erschrocken riss sie die Augen auf.
Das Mittagsmahl. Sie warf einen Blick aus dem Fenster auf die Sonne am Himmel und stieß eine leise Verwünschung aus.
Sie war spät dran.
Es dauerte nur wenige Minuten, den kirtle zu wechseln, sich etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen und mit dem Kamm durchs Haar zu fahren, bevor sie bereits wieder die Treppe hinuntereilte. Sie verließ den Turm und hastete über den Burghof auf das freistehende Gebäude zu, das den neuen Saal und die Küche beherbergte. Der Saal mit seinem besonders konstruierten Kamin war vor über vierzig Jahren in aller Eile errichtet worden, als Queen Mary Toward Castle besucht hatte. Bis zum heutigen Tag wurde der Torbogen zwischen der Kapelle und dem Wachhäuschen ›Queen Mary’s Gate‹ genannt.
Als sie näher kam, konnte sie die ausgelassenen Geräusche
des Mahles hören und verspürte einen schuldbewussten Stich. Nach allem, was ihr Onkel und ihre Tante für sie getan hatten, sollte sie sich mehr Mühe geben, ihnen ihre Freundlichkeit zu vergelten. Also zwang sie sich zu einem Lächeln, holte tief Luft und betrat den Saal.
Einen Augenblick lang erfüllten die fröhlichen Geräusche und die Klänge der Dudelsackpfeifer, der warme Geruch nach Torf und die lebhafte Farbpalette der bunt gekleideten Clansleute sie mit schmerzvoller Sehnsucht. Es erinnerte sie so sehr an Ascog, dass sie kurz innehalten musste, um sich wieder zu fangen.
Ihr Blick schweifte durch den Saal und glitt über ein Meer an unbekannten Gesichtern. Mit Ausnahme der Estrade, wo ihr Onkel saß, und daneben ihre Tante, Cousinen und …
Sie erstarrte vor Entsetzen.
Nur Jamie Campbell konnte kühn genug sein, nach allem, was auf Ascog geschehen war, die Burg seines Feindes zu betreten. Eigentlich hätte sie mit etwas Derartigem rechnen sollen. Jedenfalls hatte er keine Zeit verschwendet.
Doch was sie nicht verstand, war, warum ihr Onkel ihn empfing. Die Lamonts of Toward hassten die Campbells ebenso wie ihre Verwandten von Ascog – wenn nicht sogar noch mehr. Die Tatsache, dass ihr Onkel nach allem, was geschehen war, mit Argylls Henker an derselben Tafel saß, ließ ihr einen besorgten Schauer über den Rücken laufen.
Etwas hier verhieß nichts Gutes.
Jamie sah ihre Erschütterung, als sie den Saal betrat und ihn an der Tafel neben ihrer Tante sitzen sah.
Als er sah, wie sie zögernd am Eingang stehenblieb, als überlege sie, ob sie eintreten oder umkehren sollte, erstarrte er. Hatte sie sich mehr verändert, als er dachte?
Nur wenige Sekunden verstrichen, bevor sie die Schultern straffte und entschlossen durch den Saal schritt – und ihn
keines weiteren Blickes würdigte. Jamie, der nicht bemerkt hatte, wie fest er seinen Kelch umklammert hatte, entspannte seinen Griff wieder. Nein, sie war immer noch das leidenschaftliche Mädchen, das nicht vor einer Herausforderung zurückscheute. Doch als sie näher kam, konnte er das Misstrauen in ihren Augen sehen – ein Misstrauen, das ihn schmerzte.
Er nahm einen langen Zug cuirm , denn er wusste, dass sie allen Grund hatte, besorgt zu sein.
Auf der Bank neben ihm war ein Platz frei, doch es überraschte ihn nicht, dass sie am gegenüberliegenden Ende der langen,
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