Stolz und Verfuehrung
und winkte Emily mit Henry im Schlepptau durch, bevor er selbst folgte und den Riegel wieder vorschob.
Em richtete den Blick auf das Pfarrhaus, das noch ein Stück weiter oben lag. »Was für ein Mensch ist dieser Filing? Wie alt ist er?«
»Ungefähr Anfang dreißig. Ausgesprochen bodenständig mit einer guten Ausbildung. Wir schätzen uns glücklich, ihn bei uns zu haben. Er hat diese Stellung mehr oder weniger ererbt und dann festgestellt, dass er das Dorf mag. Also hat er sich entschlossen zu bleiben.« Tallent hatte seine Antwort mehr an Henry als an sie gerichtet. Ems Bruder nickte und war dankbar für die Auskunft.
Tallent musterte ihn aufmerksam. Zweifellos war er neugierig, welche Angelegenheit sie und Henry wohl mit dem Vikar zu besprechen hatten, er sagte aber nichts weiter. Und stellte vor allem keine Fragen. Er würde es früh genug erfahren.
Auf ein Nicken von Em zog Henry an der Klingel.
Die Tür wurde mit solchem Eifer aufgerissen, dass man annehmen konnte, der Mann hatte sie durch den Garten hinaufkommen sehen.
Em schaute in freundliche blaue Augen in einem blassen Gesicht mit feinen, angenehmen Zügen. Filing - sie nahm an, dass es sich um ihn handelte - war nicht ganz so groß wie Tallent, der sich hinter ihr hielt, aber doch größer als der Durchschnitt und ein wenig schlanker. Sein Haar war hellbraun. Sowohl das Haar als auch seine Kleidung - er trug eine graue Jacke und eine unauffällige Weste über beigefarbenen Kniehosen - schienen auf geradezu penible Weise gepflegt zu sein und so altmodisch, wie es sich für einen Angehörigen des geistlichen Standes schickte.
Ausgesprochen bodenständig, hatte Tallent gesagt. Em sah keinen Grund, zu einer anderen Einschätzung zu kommen.
Sie nickte freundlich. »Guten Morgen. Mr Filing, nehme ich an?«
Der Mann senkte den Kopf, verbeugte sich halb und blickte die drei Besucher erwartungsvoll an. »Ich bin Miss Beauregard«, fuhr sie fort, deutete mit einer unbestimmten Geste über die Schulter sowohl auf Tallent als auch auf das Gasthaus weiter unten. »Ich habe die Stellung der Wirtin unten im Red Beils Inn angenommen. Und ich habe mich gefragt, ob ich Sie wohl wegen des Unterrichts für meinen Bruder Henry sprechen dürfte.« Diesmal deutete sie auf Henry neben sich.
Filing lächelte. »Miss Beauregard.« Er bot dem Jungen die Hand. »Henry.«
Nachdem sie sich begrüßt hatten, richtete Filing den Blick wieder auf sie. »Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Beauregard. Bitte kommen Sie herein. Dann können wir uns über die Bedürfnisse Ihres Bruders unterhalten.«
Der Mann trat zurück, um den Weg für Henry und sie freizugeben. »Jonas. Schön, dich zu sehen«, meinte der Vikar, als Em gerade durch den Flur zu einem Raum ging, der das Wohnzimmer des Pfarrhauses sein musste.
»Joshua.« Tallent trat über die Schwelle und ergriff Filings Hand.
Jonas schaute Em an, als sie sich umdrehte.
Er lächelte, unterhielt sich aber weiter mit Filing. »Ich bin nicht in Eile. Unter allen Umständen solltest du zuerst mit Miss Beauregard sprechen. Ich weiß, dass sie sehr beschäftigt ist.«
Das konnte sie kaum abstreiten, am wenigsten vor ihm. Em spürte, dass sie Tallents viel zu attraktives Gesicht einen Sekundenbruchteil zu lange musterte. Aber die Arrangements für Henrys Unterricht waren kaum eine vertrauliche Angelegenheit, und Tallent war ohnehin informiert, weshalb sie das Pfarrhaus aufsuchten.
Kühl neigte sie den Kopf. »Vielen Dank, Mr Tallent.« Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Filing, ließ sich nicht mehr ablenken und berichtete ausführlich, in welche Studien Henry sich bisher vertieft hatte und was sie in den nächsten Jahren zu erreichen hofften.
Ihr Respekt vor Filing stieg beachtlich, als der sich an Henry wandte und ihn selbst über seine Vorlieben, Abneigungen und Wünsche befragte.
Anfangs verhielt Henry sich reserviert, legte seine Zurückhaltung aber rasch ab. Em beobachtete ihn schweigend und lauschte Filing, der Henrys Ansichten zu verschiedenen Themengebieten erfragte und umgekehrt seine eigenen Meinungen und Erfahrungen äußerte. Em war vollkommen einverstanden mit dem, was sie sah und hörte, und nickte innerlich mit dem Kopf. Filing war in Ordnung.
Der Vikar vereinbarte mit Henry, dass der Junge mit seinen Büchern noch am selben Nachmittag gegen zwei Uhr wieder ins Pfarrhaus kommen sollte. Gemeinsam mit ihm wollte Filing einen Lehrplan aufstellen, wobei das Ziel, wie Em
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