Stolz und Verfuehrung
die hellsichtigeren unter den Gästen - zu denen sie ganz sicher Phyllida Cynster rechnen durfte - zu dem Schluss kommen würden, dass Issy und sie aus einer vom Glück verlassenen guten Familie stammten.
Was ja auch mehr oder weniger der Wahrheit entsprach, im Moment jedenfalls.
Zusammen mit Issy hatte sie beschlossen, dass ihnen nichts Besseres passieren konnte, als den Gedanken an eine solche Geschichte zu erwecken. Die meisten Menschen waren zu höflich, um weitergehende Fragen zu stellen.
ln einer so kleinen Gemeinde war und blieb eine gute Herkunft eben eine gute Herkunft, ganz gleich, wie eingeschränkt die Verhältnisse auch sein mochten.
Das schien jedenfalls Pommeroy Fortemains Auffassung zu sein, als er neben Em auftauchte. »Meine liebe Miss Beauregard, gestatten Sie, dass ich mich selbst vorstelle«, er krönte seine Worte mit einer formvollendeten Verbeugung, »Pommeroy Fortemain, stets zu Diensten.«
Obwohl er noch gar nicht so alt war, vielleicht in Tallents Alter, war Pommeroy Fortemain auf dem besten Weg zu einem stattlichen Leibesumfang. Seine Vorliebe für auffällig gestreifte Westen mit glitzernden Knöpfen trug nicht dazu bei, die beginnende Korpulenz zu verdecken. Dessen ungeachtet war er jenseits seiner prächtigen Kleidung eine unauffällige Erscheinung; er trug wenig von der Ernsthaftigkeit und Würde an sich, die seinen älteren Bruder Cedric auszeichneten. Em wartete, bis Pommeroy sich nach seiner Verbeugung wieder aufgerichtet hatte, senkte den Kopf und gab ihm die Hand. »Sir.«
Sie hatte sich von Issy getrennt und von einer Gruppe Bau-ersfrauen gelöst, sodass sie im Moment allein war. Insgeheim fragte sie sich, was der Sohn der Gastgeberin ihr wohl über das Dorf und das Anwesen erzählen konnte, und zog ihre Hand aus seiner übertrieben begeisterten Umklammerung. »Oh, verraten Sie mir doch, Sir, gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Bruder der Eigentümer des Anwesens ist?«
»Ja, das stimmt. Cedric.«
Am vergangenen Abend hatte sie Cedric kurz im Gasthaus getroffen.
»Er ist ein wenig älter als ich«, fuhr Pommeroy fort, »und er wird heute Nachmittag nicht kommen. Hat sich zweifellos in sein Arbeitszimmer verkrochen und kümmert sich um die Verwaltung der Ländereien.« Pommeroys Tonfall gab zu verstehen, dass er sehr zufrieden war, die lästige Arbeit seinem Bruder überlassen zu können. »Ich greife Mama bei der Bewirtung der Gemeinde immer unter die Arme und sorge für die Unterhaltung der Gäste.« Er schaute sich um. »Um die Wahrheit zu sagen, etwas anderes gibt es hier in der Gegend auch nicht zu tun.«
Em wusste nicht, ob sie lachen oder sich beleidigt geben sollte. Am Ende verzichtete sie sowohl auf das eine als auch auf das andere, denn es war klar, dass er nicht die Absicht gehabt hatte, jemanden vor den Kopf zu stoßen. »Sind Sie hier aufgewachsen, hier in diesem Landstrich?«
»Ja. Hier war immer mein Zuhause. Die Fortemains residieren auf Ballyclose seit...« Er überlegte und schaute dann leicht überrascht drein. »Ich weiß nicht, seit wann.«
»Ach, wirklich?« Em musste ihr Interesse nicht vortäuschen. Mehr und mehr machte es den Eindruck, als wäre Ballyclose Manor genau das Haus, nachdem sie suchten. Sie ließ den Blick demonstrativ durch das Empfangszimmer schweifen, musterte jede Einzelheit. »Ist das Haus sehr groß?«
Pommeroy zuckte die Schultern. »Ach, nicht so groß wie andere.«
»Aber das größte in der unmittelbaren Umgebung?«
Er zog ein nachdenkliches Gesicht und nickte dann. »In der Gegend ist es bestimmt das größte.« Sein Blick ruhte auf ihr. »Aber genug von diesem alten Kasten. Erzählen Sie doch, was hat Sie und Ihre Familie nach Colyton verschlagen?«
Em lächelte ein wenig angespannt. »Wir sind hergekommen, um die Leitung des Gasthauses zu übernehmen. Ich habe die Anzeige in Axminster entdeckt.«
»Das heißt, Sie kommen von dort?«
»Zuletzt waren wir dort.« Em wollte sich nicht weiter dazu äußern. Sie sah keinen Grund, die lebhafte Neugier in Pommeroys Blick noch mehr anzufachen, denn ihr drängte sich der Verdacht auf, dass er zu den Männern gehörte, die für den Klatsch im Dorf jederzeit ein offenes Ohr hatten. Das galt jedenfalls für seine Mutter ... Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, dachte Em trocken.
Zu ihrer Überraschung lehnte er sich dichter zu ihr herüber und richtete seinen Blick fest auf ihre Augen. »Vielleicht darf ich Sie auf eine Ausfahrt in die Gegend entführen? Damit Sie alle
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