Stolz und Verfuehrung
Treppenabsatz stand eine Tür in Richtung der Stufen offen, die zu einer Vorratskammer führte. Nach dem vielstimmigen Lärm zu urteilen, der die Treppe heraufdrang, ging es von dort aus direkt in die Küche.
»He, du Dummkopf! Wisch die Platte ordentlich ab, bevor du sie wieder raufbringst. Glaub mir, wenn du sie so nach oben trägst, wird die Sahne nur auf dem Kleid Ihrer Ladyschaft landen.«
Als Antwort brummte jemand unterdrückt. Em lauschte dem Wortwechsel nicht länger, sondern verließ den Treppenabsatz und eilte weiter den Flur entlang, an dessen Ende sich eine schmale Tür befand, hinter der wiederum ein Innenhof lag. Sie musste wissen, wo genau die Küche im Grundriss des Hauses lag, und das würde ihr viel leichter fallen, wenn sie diesen Flügel des Anwesens von außen betrachten konnte.
Kaum hatte sie die Tür erreicht, warf sie einen Blick nach draußen, konnte aber nicht besonders viel sehen. Der enge Innenhof begrenzte ihr Blickfeld. Sie umklammerte den Türknauf, drehte ihn herum - und wurde mit einem Klicken belohnt. Sie öffnete die Tür und trat ins Freie. Leise schloss sie die Tür hinter sich, nachdem sie sich mit einem flüchtigen Blick vergewissert hatte, dass der Innenhof leer war.
Der mit grauem Stein gepflasterte rechteckige Hof war von drei Seiten ummauert. Die Beete, die sich an den Mauern erstreckten, waren mit Kletterpflanzen bestückt, deren lange Ranken an den Mauern emporwucherten. Links von der Tür lag die offene Seite des Hofs. Mit einem schnellen Blick prüfte sie, was sich dahinter befand, lächelte und ging eilig in die Richtung.
Am Ende des Steinpflasters blieb sie stehen und verbarg sich im Schatten, den die Ecke des Innenhofs warf. Unter ihr erstreckte sich auf einer tiefer gelegenen Ebene der Küchengarten. Sauber waren die Gemüsereihen über die Fläche gezogen. Kräuter sprossen aus Töpfen und an den Wegrändern.
Eine steinerne Treppe führte hinunter. Em trat auf die erste Stufe, lugte um die Ecke und entdeckte an der Rückseite des Anwesens ein Gebäude, das an ein Waschhaus erinnerte. In der Nähe befand sich eine größere Tür, die von einem kleinen Vorbau geschützt wurde - vermutlich die Hintertür, die direkt in die Küche führte. Aber nicht das war es, was ihren Blick auf sich zog, ihn förmlich fesselte, sondern die zwei niedrigen Türen, die auf dem halben Weg zwischen dem Hof und der Hintertür eingelassen waren.
Es konnte sich nur um die Kellertüren handeln.
Em musterte sie aufmerksam, ließ den Blick anschließend an der rückwärtigen Fassade entlangschweifen, drehte sich um und betrachtete den umliegenden Garten, die Bäume halfen ihr, ihren Standort zu bestimmen.
Schließlich musterte sie wieder die robusten Kellertüren, in deren Mitte dicke Glasscheiben eingelassen waren. Von ihrer Position aus konnte sie nicht hineinschauen.
Just als sie überlegte, ob sie trotz der Gefahr, dass jemand aus der Küche sie erwischen könnte, vortreten und durch die Scheibe lugen sollte - nur um sich zu überzeugen, dass die Türen tatsächlich zum Keller führten jagte ihr ein höchst seltsamer Schauder über den Rücken.
Abrupt wirbelte Em herum, trat zurück, weiter in den Innenhof hinein - und wäre beinahe gestürzt, als sie gegen eine Mauer prallte.
Gegen eine Mauer aus männlichen Muskeln, die zu Jonas Tallent gehörten.
Ihr Herz pochte nicht mehr gleichmäßig im Takt, es rumpelte vielmehr wie ein Wagenrad. Unwillkürlich atmete sie tief ein, doch die Luft schien in ihrer Brust stecken zu bleiben, was ihr überhaupt nicht guttat.
Hastig trat sie zur Seite. »Was haben Sie hier zu suchen?«, herrschte sie ihn mit aufgerissenen Augen und einem verdächtigen Quietschen in der Stimme an.
Em schluckte und versuchte, ihr wild pochendes Herz zu beruhigen, versuchte, der Wärme, die sie verführerisch einzuhüllen drohte, keine Beachtung zu schenken. Aber es war zu spät. Warum hatten ihre nutzlosen Sinne ihn nicht bemerkt und Alarm geschlagen, wenn sie doch sonst ständig durcheinandergerieten, sobald er auftauchte? Warum ...
Im Geiste plapperte sie vor sich hin. Em atmete wieder tief durch, hielt den Atem an und brachte mit Mühe ein Stirnrunzeln zustande.
Zu spät erinnerte sie sich daran, dass es unklug war, ihm in die Augen zu schauen, in diese abgründige, faszinierende Tiefe ... Es war, als drohte sie abzustürzen, aber der Blick hielt sie fest.
Spöttisch zog er die Brauen hoch. »Ich hatte die Absicht, Ihnen dieselbe Frage zu stellen.«
Em
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