Stolz und Verfuehrung
Bemerkte beinahe panisch, dass sie in der Tat hilflos war - wie eine willige Dirne. Oder jedenfalls war sie es gewesen.
Aber Em musste nicht kämpfen, um sich zu befreien, musste noch nicht einmal ihre schwindenden Kräfte für die Schlacht sammeln. Jonas wusste Bescheid, als ob er ihre Reaktion hatte lesen können, und beendete den Kuss zögerlich.
Sie bemerkte sein Zögern sofort. Es sprach aus jeder langsamen und wohlbedachten Bewegung ebenso wie aus dem gezügelten Griff um ihre Taille. Diese Beherrschung, dass er sie in genau dem Moment freigab, in dem sie es sich wünschte, ließ sie unendlich beruhigt zurück.
Em sah ihre Vermutung bestätigt, dass er in der Tat ein ehrenwerter Mann war.
Dass sie bei ihm sicher war. Oder zumindest vor ihm sicher sein konnte.
Denn was ihn betraf, so lag die Gefahr vielmehr bei ihr selbst.
Ihre Lippen trennten sich. Langsam. Er hob den Kopf, ließ sie wieder auf die Fersen sinken, schlug erst dann die Lider auf und suchte ihren Blick.
Die Hitze in ihm konnte unmöglich missverstanden werden.
Raubte ihr schier den Atem, verursachte ein Beben in ihrem Innern.
Seine Augen erforschten ihre. So dicht bei ihr, schien er sie mit erhitztem Blick zu durchbohren.
Em wollte sich zurückziehen, und er musste seinen Händen wieder einmal nachdrücklich befehlen, sie gehen zu lassen. Doch es gelang ihm.
Jonas straffte den Rücken, hatte den Blick immer noch mit ihrem verschränkt. Seine Gesichtszüge schienen sich verhärtet zu haben, mit scharfen Kanten und zerfurchten Wangen. »Falls Sie die Absicht hatten, mich von meinem Interesse für Sie und Ihre Taten abzulenken ... muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie sich ganz bedauerlich verrechnet haben.«
Der raue Unterton seiner Stimme - aus der die pure männliche Besitzgier sprach - ließ sie den Blick verengen. »Ich und meine Taten«, unterrichtete sie ihn knapp, »gehen Sie rein gar nichts an.«
Jonas hielt ihren Blick unbeirrt fest. »Mag sein, dass das vorher galt. Aber jetzt?« Er verzog die Lippen wie ein Raubtier auf Beutezug. »Keineswegs.«
Em kniff die Augen so weit zusammen, wie es nur irgend möglich war, durchbohrte ihn mit flammendem Blick und kehrte zur Tür zurück.
Jonas schaute ihr nach und wiederholte in aller Ruhe: »Keineswegs, Emily Beauregard. Ich lasse Ihnen nicht die geringste Chance.«
Er wandte sich um und folgte ihr ins Haus.
5
Wenn Emily Beauregard sich einbildete, dass sie ihn auf solche Art küssen konnte - ihn anschauen konnte mit diesen strahlenden Sternen in den Augen, obwohl es heller Tag gewesen war und anschließend auch noch von ihm erwartete, dass er sie gehen ließ, dann hatte sie sich nicht nur völlig verrechnet, sondern ...
»Verrückt!« Auf dem Weg zum Gutshof durchquerte Jonas das Gehölz und kickte einen herabgefallenen Ast fort. »Schlichtweg verrückt. Und unbegreiflich.«
Dessen ungeachtet wusste er, welche seltsamen Vorstellungen Frauen für gewöhnlich hegten, und rechnete selbstverständlich damit, dass sie weiterhin versuchen würde, ihn abzuwehren.
Es konnte ihr nur guttun.
Nach dem Kuss war er nicht in der Lage gewesen, an irgendetwas anderes zu denken - außer sie erneut zu küssen.
Außer an die Dinge, die nach diesem Kuss noch folgen würden und folgen sollten, wenn er in der Sache ein Wörtchen mitzureden hatte.
In der Zwischenzeit würde er der Frage auf den Grund gehen, warum sie und ihre Familie nach Colyton gekommen waren. Er wollte herausfinden, wonach sie suchte. Offensichtlich war sie davon überzeugt, es auf Ballyclose Manor finden zu können, obwohl er nicht wusste, wo genau sie eigentlich suchte. Der Küchengarten schien jedenfalls ein merkwürdiger Ort dafür. Falls sie ihm verriet, wem oder was sie auf der Spur war, würde er sich bei Cedric danach erkundigen können. Dann würden sie es schon erfahren.
Warum sie aus der Suche und sicher auch aus dem gesuchten Gegenstand ein Geheimnis machte - er hatte keine Ahnung. Natürlich hatte er daran gedacht, dass es sich um etwas Verbotenes handeln könnte, den Gedanken aber gleich wieder verworfen.
Die Vorstellung, dass Miss Emily Beauregard in eine Ungehörigkeit, ja sogar in eine schändliche Sache verwickelt sein sollte, war schlicht unhaltbar. Um nicht zu sagen, lachhaft. Im Grunde genommen wusste er nicht, wie er sich dessen so sicher sein konnte; aber er war es. Sie gehörte zu den Menschen, die, fänden sie einen Schilling auf der Straße, darauf beharren würden, im ganzen Dorf und auf den
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