Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Betreten der Stadt in Tränen auszubrechen. Elisabeth konnte daher hoffen, ihre Schwester werde sich bis Weihnachten so weit beruhigen, daß sie sich ihrer verlorenen Offiziere nur mehr einmal am Tage erinnerte —, falls nicht ein boshafter Zufall oder ein kurzsichtiges Kriegsministerium wieder ein Regiment nach Meryton legte.
Der Tag, der für die Reise Elisabeths mit ihren Verwandten nach dem Norden Englands vorgesehen war, rückte immer näher heran. Bald waren es nur noch vierzehn Tage bis dahin; da kam ein Brief von Mrs. Gardiner, der die Abfahrt noch hinauszögerte und die Dauer der Reise einschränkte. Mr. Gardiner konnte sich aus geschäftlichen Gründen erst zwei Wochen später und nur für einen knappen Monat freimachen. Da dieser Zeitraum für eine so ausgedehnte Reise, wie die geplante, zu kurz war, mußte der Besuch des Seengebietes fallengelassen werden; nach dem neuen Plan wollte man nur bis Derbyshire fahren. Dort gab es genug Schönes zu sehen, um die drei Wochen, die sie zur Verfügung hatten, auszufüllen. Mrs. Gardiner selbst tat diese Änderung nicht leid, da sie sich sehr darauf freute, bei dieser Gelegenheit einige Tage in der Stadt weilen zu können, in der sie vor ihrer Heirat mehrere Jahre verbracht hatte.
Elisabeth war zuerst schrecklich enttäuscht; sie hatte sich so sehr auf das berühmte Seengebiet gefreut, und im stillen dachte sie, daß man die ursprünglich beabsichtigte Fahrt auch gut in der kürzeren Zeit hätte schaffen können. Aber sie war nicht um ihre Meinung gefragt worden, und ihre gute Laune ließ es auch gar nicht zu, daß sie sich nicht bald ebenso über den neuen Plan freute wie über den alten. Der Name Derbyshire rief manchen Gedanken in ihr wach: unmöglich, das Wort geschrieben zu sehen, ohne gleich an Pemberley und seinen Besitzer erinnert zu werden.
»Aber ich werde doch gewiß ›seine‹ Heimat ungestraft besuchen können«, meinte sie zu sich selbst, »und dort ein paar Versteinerungen sammeln dürfen, ohne gleich von ihm entdeckt zu werden.«
Vier Wochen mußten also noch verstreichen, bevor ihre Verwandten sie abholen würden. Aber auch diese Zeit verging, und eines Tages kamen die Gardiners mit ihren vier Kindern auf Longbourn an. Die Kinder, zwei Mädchen von sechs und acht Jahren und zwei noch jüngere Knaben, sollten über die Ferienzeit der besonderen Obhut von Jane anvertraut werden, deren stets gleichbleibende Fröhlichkeit und liebevolles Wesen sie zu ihrer Lieblingscousine gemacht hatten.
Die Gardiners blieben nur eine Nacht auf Longbourn und brachen am nächsten Morgen mit Elisabeth auf, um in den kommenden Wochen nur ihrer Erholung und den Schönheiten der Landschaft nachzugehen. Die erste Freude ließ nicht lange auf sich warten. Die Feststellung, wie gut die Reisegefährten zusammenpaßten, die gleiche aufgeschlossene gute Laune und die frohe Bereitschaft, alles Schöne zu genießen und sich in diesem Genuß auch nicht durch gelegentliche Unbequemlichkeiten der langen Fahrt stören zu lassen.
Die Stadt, in der Mrs. Gardiner einen Teil ihrer Jugend verbracht hatte, hieß Lambton, und dorthin brach man eines Morgens auf. Unterwegs hatte Elisabeth von ihrer Tante erfahren, daß Pemberley nur fünf Meilen von diesem Städtchen entfernt lag. Nicht unmittelbar an dem Weg, den sie nehmen wollten, aber auch nicht mehr als ein bis zwei Meilen abseits. Am Abend vorher, als man den nächsten Tagesplan beriet, sprach Mrs. Gardiner den Wunsch aus, diesen alten Besitz einmal wiederzusehen. Ihr Gatte erklärte sich gern einverstanden, und dann wurde Elisabeth gefragt, was sie dazu sage.
»Würdest du nicht gern das Haus, von dem du so viel gehört hast, einmal mit eigenen Augen sehen?« fragte ihre Tante. »Von dort stammen ja verschiedene von deinen Bekannten. Du weißt doch, daß Wickham dort seine ganze Jugend verlebt hat.«
Elisabeth wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie fühlte, daß sie dort nichts zu suchen hatte, mußte aber ihre Ablehnung damit begründen, daß sie keine große Lust habe, noch ein großes Haus mit schönen Teppichen und alten Gemälden zu sehen nach den vielen, die man unterwegs schon besucht hatte.
Mrs. Gardiner schalt sie töricht: »Wenn es sich um nichts weiter als ein schön eingerichtetes altes Haus handelte«, sagte sie, »hätte ich gar nicht den Vorschlag gemacht. Aber der Park, der dazu gehört, ist einer der schönsten in ganz England, er ist wirklich entzückend.«
Elisabeth zog ihre Einwände zurück,
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