Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
geschmeichelt fühlen.
Am Tage vor dem Aufbruch des Regiments waren er und einige Kameraden zu Gast auf Longbourn. Elisabeth spürte eine so geringe Neigung, ihn selbst an diesem letzten Abend freundlich zu behandeln, daß sie ihm auf seine Frage, wie es ihr in Hunsford ergangen sei, erzählte, Darcy und Oberst Fitzwilliam seien gerade während dieser Zeit drei Wochen lang auf Rosings zu Besuch gewesen; und sie knüpfte die Gegenfrage daran, ob er auch den Obersten kenne. Er sah sie einen Augenblick erstaunt, sogar erschreckt und beunruhigt an; aber er hatte sich gleich wieder gefaßt und erwiderte lächelnd, er habe Oberst Fitzwilliam früher häufig gesehen; er sei ein sehr vornehmer, wohlerzogener Mensch; wie er ihr denn gefallen habe? Unmittelbar darauf erkundigte er sich mit gespielter Gleichgültigkeit: »Wie lange, sagten Sie, sind die beiden auf Rosings gewesen?«
»Fast drei Wochen.«
»Und Sie haben Fitzwilliam häufig gesehen?«
»Ja, beinahe jeden Tag.«
»Er ist ein ganz anderer Mensch als sein Vetter.«
»Ja, ganz anders. Aber ich habe die Entdeckung gemacht, daß Mr. Darcy um so netter wird, je länger man ihn kennt.«
»Ach wirklich!« rief Wickham unwillkürlich aus, und seine verlegene Miene entging Elisabeth nicht. »Und darf ich fragen —?« Er hielt inne und fuhr dann in übermütigem Ton fort: »Was wird denn nun netter an ihm? Seine Art, sich zu unterhalten? Läßt er sich vielleicht dazu herab, seinem gewöhnlichen Hochmut ein wenig Höflichkeit beizumengen? — Denn ich kann mir nicht vorstellen«, fügte er, wieder ernsthafter werdend, hinzu, »daß er sich in irgendeiner wesentlichen Beziehung ändern kann.«
»Oh nein«, rief Elisabeth, »in allen wichtigen Punkten, glaube ich, wird er immer so bleiben, wie er ist.«
Wickham sah sie an, als wüßte er nicht, ob er sich über ihre Antwort freuen oder ihr mißtrauen solle. In ihrem Gesichtsausdruck lag etwas, das ihn mit einer inneren Unruhe zuhören ließ, als sie nun erklärend hinzufügte: »Als ich sagte, daß er netter würde, meinte ich nicht, daß er irgendeine Eigenschaft besäße, die verbesserungsfähig sei, sondern einfach, daß man seinen Charakter besser zu beurteilen versteht, wenn man ihn genauer kennen lernt.«
Wickham konnte jetzt seine Besorgnis über diese Wendung des Gesprächs nicht mehr ganz unterdrücken; er verfärbte sich leicht, sein Blick wanderte nervös umher, und ein paar Minuten lang sagte er gar nichts. Dann schüttelte er aber mit sichtlicher Anstrengung seine Verlegenheit ab und wandte sich wieder an seine Nachbarin.
»Da Sie meine Gefühle Darcy gegenüber kennen, werden Sie verstehen können, wie sehr es mich freut zu hören, daß er wenigstens versucht, den Anschein eines anständigen Menschen zu erwecken. In dieser Hinsicht mag sein Ehrgeiz, wenn auch nicht ihm selbst, so doch anderen Menschen gute Dienste leisten; wenigstens hält er ihn dann davon ab, noch jemanden ebenso gemein zu behandeln, wie er mich behandelt hat. Ich fürchte nur, daß er diesen Anschein, von dem Sie zweifellos eben sprachen, nur so lange aufrechterhält, wie er sich unter den Augen seiner Tante befindet, an deren guter Meinung ihm sehr viel gelegen ist. Sie ist der einzige Mensch, vor dem er sich fürchtet und vor dem er sich deshalb auch zusammennimmt, nicht zum wenigsten wohl auch aus dem Wunsch heraus, seine Heirat mit Miss de Bourgh nicht aufs Spiel zu setzen, die ihm gewiß sehr am Herzen liegt.«
Elisabeth mußte hierüber lächeln, antwortete aber nur mit einem leichten Kopfnicken. Sie merkte wohl, daß er das Gespräch wieder auf seine Leidensgeschichte bringen wollte, hatte aber keine Lust, sich darauf einzulassen. Den Rest des Abends verbrachte er damit, den Anschein unbekümmerter Fröhlichkeit aufrechtzuerhalten; er hütete sich jedoch davor, Elisabeth weiter durch seine Aufmerksamkeiten auszuzeichnen. Und als sie sich dann voneinander trennten, da geschah es in aller Form und Höflichkeit und in dem wahrscheinlich beiderseitigen Wunsch, sich niemals wieder zu begegnen.
Als die Gesellschaft aufbrach, schloß sich Lydia gleich an; sie mußte Mrs. Forster heute noch nach Meryton begleiten, da die Reise schon am nächsten Morgen in aller Frühe angetreten werden sollte. Der Abschied von ihrer Familie war mehr laut als zärtlich. Kitty war die einzige, die dabei ein paar Tränen vergoß, und sie tat es nur aus Neid und Ärger. Mrs. Bennet konnte sich nicht genug tun in überschwenglichen Wünschen für das
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