Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
ist, kann man sich nicht leicht vorstellen.«
Elisabeth starrte Mrs. Reynolds fassungslos an. Spricht sie wirklich von Darcy? dachte sie.
»Sein Vater war wohl ein prächtiger Mensch«, warf jetzt Mrs. Gardiner ein.
»Ja, gnädige Frau, das war er. Und sein Sohn wird genau so werden wie er, gerade so hilfsbereit und gütig zu allen armen Leuten.«
Elisabeth hörte, staunte, zweifelte und wartete ungeduldig darauf, noch mehr über Darcy zu hören. Was Mrs. Reynolds sonst von den Zimmern, den Teppichen, den Gemälden zu erzählen wußte, konnte sie durchaus nicht fesseln.
Mr. Gardiner, der seinen Spaß an Mrs. Reynolds’ ungewöhnlichem Familienstolz hatte, dem er diese übertrieben klingenden Lobeshymnen auf Darcy zuschrieb, brachte das Gespräch wieder auf den Herrn des Hauses zurück. Nichts konnte der Haushälterin lieber sein, und sie verbreitete sich ausführlich und eifrig weiter über die hervorragenden Eigenschaften ihres jungen Herrn, während man die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf stieg.
»Er ist nicht nur der beste Herr hier im Hause, er ist auch der vorzüglichste Gutsherr«, sagte sie, »der je gelebt hat. Ganz anders als diese jungen Taugenichtse von heute, die immer nur an sich selbst denken. Da ist auch nicht einer von seiner Dienerschaft, nicht einer von seinen Landarbeitern und Pächtern, der nicht für ihn durchs Feuer gehen würde! Manche Leute sagen, er sei hochmütig, aber ich habe noch nie etwas davon bemerkt. Meiner Meinung nach kommt das nur daher, daß er nicht so viel dummes Zeug redet wie die meisten anderen jungen Leute heutzutage.«
»Wie liebenswert er einem bei ihrer Beschreibung vorkommt«, dachte Elisabeth.
»Was sie da sagt, stimmt allerdings schlecht mit seinem Verhalten gegen unseren armen Freund überein«, flüsterte die Tante ihr zu, während sie weiterschritten.
»Vielleicht haben wir uns geirrt; vielleicht sind wir sogar getäuscht worden.«
»Das glaube ich nun doch nicht; unser Gewährsmann sprach zu überzeugend.«
Von dem oberen Flur traten sie in ein entzückendes Wohnzimmer, das anscheinend erst kürzlich noch freundlicher und eleganter ausgestattet worden war als die unteren Räume. Hier wurden sie darüber aufgeklärt, daß dieser Raum soeben neu für Miss Darcy hergerichtet sei, die bei ihrem letzten Aufenthalt eine besondere Vorliebe dafür gezeigt hatte.
»Er muß ein sehr guter Bruder sein«, sagte Elisabeth, während sie zum Fenster schritt.
Mrs. Reynolds sprach im voraus von der großen Freude, die diese Überraschung bei Miss Darcy hervorrufen werde.
»Und so ist es immer gewesen«, fuhr sie fort. »Was er seiner Schwester nur immer an den Augen ablesen kann, wird ihr sofort erfüllt. Es gibt nichts, was er nicht für sie tun würde.«
Jetzt waren nur noch die Galerie und einige Schlafzimmer übrig, die sie noch nicht besichtigt hatten. Die Galerie enthielt eine große Anzahl wirklich guter Gemälde; aber Elisabeth verstand von Malerei nicht viel, und schon im unteren Stock hatte sie ihre Aufmerksamkeit lieber einigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen Miss Darcys zugewandt, die sie mehr ansprachen.
Hier oben hingen nun die Ahnenbilder, an denen natürlich für einen Außenstehenden wenig Interessantes zu entdecken war. Elisabeth schritt die Reihe entlang und suchte nach dem einen Gesicht, das sie kannte. Da war es! Sie schaute zu dem überraschend ähnlichen Porträt empor, während Darcys Gesicht von der Leinwand lächelnd auf sie herabsah, mit dem Lächeln, das sie bisweilen an ihm gesehen, wenn er sie schweigend angeblickt hatte. Sie stand einige Minuten in Gedanken versunken davor und kehrte noch einmal zu dem Bild zurück, bevor sie die Galerie verließen.
Es war nicht zu leugnen, Elisabeth verspürte während dieser kurzen Betrachtung eine freundlichere Regung für das Original, als sie je zuvor während ihrer Bekanntschaft für ihn empfunden hatte. Das von Herzen kommende Lob, das Mrs. Reynolds ihm gespendet hatte, trug hierzu nicht wenig bei; denn welches Lob könnte von größerem Wert sein als das einer alten, verständigen Dienerin? Als Gutsherr, als Hausherr, als Bruder, für wie viele und wie verschiedene Menschen war er doch verantwortlich! Wieviel Freude und wieviel Kummer zu bewirken stand doch in seiner Macht! Wieviel Gutes, wieviel Böses konnte er anrichten! Und doch hatte jedes Wort der Haushälterin zu seinen Gunsten gesprochen. Und wie Elisabeth nun dort vor dem Gemälde stand, aus dem seine Augen auf sie herunterblickten,
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