Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
sich zu gewinnen.
Tante und Nichte waren am Abend noch zu der Meinung gekommen, daß die ungewöhnliche Aufmerksamkeit Miss Darcys, ihnen fast unmittelbar nach ihrer eigenen Ankunft auf Pemberley ihre Aufwartung zu machen, nur durch eine ähnliche Höflichkeit beantwortet, wenn auch nicht übertroffen werden konnte, und hatten daher beschlossen, schon am nächsten Morgen ihren Gegenbesuch auf Pemberley zu machen. Elisabeth freute sich schon sehr darauf; als sie sich allerdings fragte, warum und worauf sie sich eigentlich freue, mußte sie sich selbst die Antwort schuldig bleiben.
Mr. Gardiner brach schon gleich nach dem Frühstück nach Pemberley auf. Er war gestern noch einmal dringlich und herzlich zum Forellenfang eingeladen worden, und man hatte abgemacht, daß er sich mit noch einigen anderen Herren am heutigen Vormittag auf Pemberley treffen solle.
45. KAPITEL
D a Elisabeth jetzt wußte, daß Carolines Abneigung gegen sie ihrer Eifersucht entsprungen war, konnte sie sich auch gut vorstellen, wie wenig willkommen sie ihr auf Pemberley sein werde, und war daher nicht wenig neugierig darauf, mit wieviel Liebenswürdigkeit sie von ihrer Seite aufgenommen würde.
Nach ihrer Ankunft wurden Elisabeth und ihre Tante sogleich durch die große Empfangshalle in das Gesellschaftszimmer geführt, dessen nördliche Lage ihm an diesem heißen Sommertag eine angenehme Kühle bewahrt hatte und dessen weit offene Glastüren einen herrlichen Ausblick auf den Park mit seinen alten Eichen und Kastanien und auf die Hügel dahinter gewährten. Miss Darcy, die sich schon mit Caroline, Mrs. Hurst und ihrer Londoner Gesellschafterin hier aufhielt, begrüßte die Gäste und übernahm die Vorstellung. Der Empfang durch Georgiana war überaus herzlich, wenngleich sie ihre Schüchternheit noch immer nicht überwunden hatte. Diese Schüchternheit entsprang offenbar nur einer bei ihrem Alter verständlichen gesellschaftlichen Unsicherheit; empfindliche Leute konnten sie jedoch leicht mit hochmütiger Zurückhaltung verwechseln.
Caroline und Mrs. Hurst würdigten die Eintretenden nur einer flüchtigen Verbeugung, und als alle Platz genommen hatten, trat eine von den bekannten peinlichen Pausen ein, in denen niemand weiß, was er sagen soll. Das Schweigen wurde zuerst von Mrs. Annesley gebrochen, einer ruhigen und freundlichen Dame, die mit ihrem Bemühen, ein Gespräch in Gang zu bringen, mehr Wohlerzogenheit und Takt bewies als die Schwestern Bingley. Sie und Mrs. Gardiner bestritten mit gelegentlicher Unterstützung durch Elisabeth die Unterhaltung. Georgiana sah aus, als wünsche sie sich den Mut, sich beteiligen zu können; später wagte sie auch hin und wieder eine Bemerkung, wenn sie sicher zu sein glaubte, daß gerade niemand zuhöre.
Elisabeth bemerkte bald, daß sie in einer fast ungezogenen Weise von Caroline beobachtet wurde; besonders wenn sie sich an Miss Darcy wandte, hörte Caroline ihr mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Das hätte Elisabeth nun zwar nicht daran hindern können, sich trotzdem mit Georgiana zu unterhalten, wenn diese nicht so weit von ihr entfernt gesessen hätte. Aber es tat ihr nicht leid, sich mehr mit ihren Gedanken beschäftigen zu dürfen, als sich an der allgemeinen Unterhaltung zu beteiligen. Jeden Augenblick konnten jetzt einige der Herren eintreten, und sie hoffte und fürchtete zugleich, Darcy möchte darunter sein; ob sie seine Anwesenheit mehr erhoffte oder fürchtete, wußte sie selber nicht. Einmal weckte sie aus ihren Gedanken die Stimme Carolines, die sich mit förmlicher Höflichkeit nach der Familie auf Longbourn erkundigte und nach Erhalt einer ebenso förmlich-höflichen Antwort wieder verstummte. Für die nächste Zerstreuung sorgten einige Diener, die Kuchen, belegte Brötchen und Früchte hereintrugen.
Während sie so noch mit Trauben und Pfirsichen beschäftigt waren, trat Darcy unvermutet ein.
Darcy war mit Mr. Gardiner und einigen anderen Herren unten am Fluß beim Forellenfischen gewesen und war erst auf die Nachricht hin, daß Elisabeth mit ihrer Tante zum Besuch seiner Schwester gekommen sei, wieder nach Hause geeilt. Kaum erschien er, da faßte Elisabeth auch schon den höchst vernünftigen Entschluß, sich völlig natürlich und unbefangen zu geben. Das war umso notwendiger — wenn es auch deshalb keineswegs leichter zu befolgen war —, als sie wahrnahm, wie sich plötzlich aller Anwesenden ein auffälliges Interesse an ihrer Person bemächtigte und aller Augen aufmerksam
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