Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Darcys Verhalten ihr gegenüber beobachteten. In keinem Gesicht war die Neugierde deutlicher zu erkennen als in dem Carolines, wenn sie auch jetzt ein lebhaftes Lächeln zur Schau trug, so oft er sie ansprach; ihre Eifersucht hatte ja noch keinen Grund gehabt, sich voll zu entfalten, und ihre Bemühungen um Darcy waren so zuversichtlich wie nur je. Georgiana fühlte sich in Gegenwart ihres Bruders sicherer und fing an, sich lebhafter zu unterhalten. Elisabeth merkte, daß Darcy daran gelegen war, daß seine Schwester und sie sich möglichst gut kennen lernten. Miss Bingley bemerkte dies ebenfalls und ließ sich, darüber aufgebracht, zu der dummen Bemerkung hinreißen: »Wie ist das, Miss Elisabeth, stimmt es, daß das Regiment aus Meryton fortgezogen ist? Für Ihre Familie muß das doch ein sehr harter Schlag gewesen sein!«
Vor Darcy wagte sie nicht, den Namen Wickham auszusprechen, aber Elisabeth begriff sofort, daß Caroline vor allem auf ihn angespielt hatte. Die Erinnerungen an ihn riefen einen Augenblick lang ein Gefühl des Ärgers in ihr wach; doch sie unterdrückte sogleich ihre Verstimmung und gab ihre Antwort in völlig gleichmütigem Ton.
Während sie sprach, warf sie unwillkürlich einen Blick auf Darcy und sah, daß er sie mit leicht gerötetem Gesicht ernst anblickte und daß seine Schwester neben ihm vor Verwirrung kaum die Augen zu heben wagte. Hätte Caroline gewußt, welchen Schmerz sie ihrer Freundin durch ihre Worte zufügte, dann wäre die Bemerkung bestimmt unterblieben. Sie hatte ja aber nichts weiter beabsichtigt, als Elisabeth durch eine Anspielung auf den Mann, den sie für deren besonderen Verehrer hielt, in Verlegenheit zu bringen und sie zu verleiten, etwas über ihn zu sagen, was sie in Darcys Augen herabsetzen würde. Vielleicht hoffte sie auch, diesen an all die Torheiten und Ungehörigkeiten zu erinnern, die Elisabeths jüngere Schwestern sich durch ihre Flirts mit den Offizieren jenes Regiments hatten zuschulden kommen lassen. Zu ihrer Entschuldigung sei gesagt, daß sie nie eine Silbe über Georgianas beabsichtigte Entführung durch Wickham gehört hatte. Niemand, außer den unmittelbar Beteiligten, hatte je etwas davon erfahren, ausgenommen Elisabeth. Besonders vor Bingley und seinen Angehörigen hatte Darcy alles sorgsam verschwiegen, vermutlich aus dem Gedanken heraus, daß sie eines Tages auch Georgianas Verwandte sein würden; denn dieser Gedanke mußte ihn sicherlich einmal beschäftigt haben.
Elisabeths Gelassenheit ließ auch seine Erregung bald schwinden, und da Caroline, voll Ärger und Enttäuschung, sich mit dem Thema Wickham nun doch nicht zu beschäftigen wagte, vermochte auch Georgiana sich allmählich wieder zu fassen, wenn auch nicht so weit, daß noch irgendein Wort über ihre Lippen kam. Aber ihr Bruder, den sie kaum anzusehen sich getraute, dachte nur noch selten an ihre Torheit von damals zurück; und Carolines Bemerkung, die den Zweck verfolgt hatte, sein Interesse von Elisabeth abzuwenden, hatte schließlich nur den Erfolg, daß er sich in Gedanken noch eingehender und herzlicher mit ihr beschäftigte.
Bald nach diesem Zwischenfall, den allerdings nur die Nächst-beteiligten bemerkt und verstanden hatten, brachen die Besucher auf. Während Darcy sie zu ihrem Wagen geleitete, machte Caroline in gewohnter Weise ihren Gefühlen Luft, indem sie Elisabeth, ihre Kleider und ihr Benehmen schmähte. Aber sie fand bei Georgiana keinen Widerhall. Ihr Bruder, der sich in der Beurteilung von Menschen nie irrte, hatte in so liebevollen Worten von Elisabeth gesprochen, daß Georgiana, selbst wenn sie es gewollt hätte, gar nicht anders konnte, als sie ebenfalls liebenswert und reizend zu finden. Als Darcy wieder in das Zimmer trat, versuchte Caroline ihr Glück bei ihm.
»Wie schlecht Miss Bennet heute aussah!« rief sie ihm entgegen. »Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der sich in so kurzer Zeit so sehr zu seinem Nachteil verändert hat. Sie war ja ganz braun und sah so gewöhnlich aus! Louisa und ich stellten gerade fest, daß wir sie beide kaum wiedererkannt hätten!«
Darcy ließ es sich nicht anmerken, wie wenig Anklang ihre Worte bei ihm fanden; er erwiderte ruhig, ihm sei keine andere Veränderung an ihr aufgefallen als ihre Sonnenbräune, und das sei ja immer die Folge von längeren Sommerreisen.
»Ich für mein Teil«, beharrte sie, »habe sie ja nie besonders schön finden können. Ihr Gesicht ist zu schmal; ihre Haut ist auch nicht ein bißchen
Weitere Kostenlose Bücher