Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
viel von diesem Schritt versprechen konnte, so bot er doch eine Möglichkeit zu neuen Hoffnungen.
Bevor jedoch Mr. Gardiner wieder ein Lebenszeichen gab, erhielten sie auf Longbourn ein Schreiben von ganz unerwarteter Seite, nämlich von Mr. Collins. Jane, die den Auftrag erhalten hatte, alle Briefe, die in Abwesenheit ihres Vaters kommen sollten, zu lesen, öffnete ihn, und Elisabeth, die ja seinen schwülstigen Briefstil kannte, beugte sich neugierig über Janes Schulter, und gemeinsam lasen sie:
›Lieber Vetter!
Sowohl unsere Verwandtschaft wie die Stellung, die ich bekleide, lassen es mir angezeigt erscheinen, Ihnen mein Beileid auszusprechen zu dem schweren Schlag, der — wie ein Schreiben aus Hertfordshire uns gestern mitteilte — Sie so grausam getroffen hat. Nehmen Sie meine Versicherung entgegen, lieber Vetter, daß meine Frau und ich den Schmerz teilen, den Sie und Ihre liebe Familie in diesen Tagen empfinden werden und der um so bitterer ist, als die Umstände, die ihn verursacht haben, selbst nach Jahren in keinem milderen Licht erscheinen können. Von meiner Seite wird nichts unversucht gelassen werden, um Ihnen Ihren Kummer zu erleichtern und Ihnen Trost zu spenden in dieser Prüfung, die gerade für eines Vaters Herz so schwer zu tragen sein muß. Selbst der Tod Ihrer Tochter hätte im Vergleich zu solchem Unglück ein Segen genannt werden müssen. Und ich beklage Sie um so mehr, als ich nach allem, was meine liebe Charlotte erzählt, Grund habe anzunehmen, daß diese Verderbtheit Ihres Kindes in Ihrer unklugen Nachsicht und Milde seinen Ursprung genommen hat. Aber gleichzeitig muß ich zu Ihrer Verteidigung und Beruhigung hinzufügen, daß ich der Meinung bin, daß Ihre Tochter von Natur aus schon im Kern verdorben und schlecht gewesen sein muß, sonst hätte sie sich unmöglich einer so ungeheuerlichen Handlung in ihrem zarten Alter schuldig machen können. Aber wie dem auch immer sein mag, Sie sind auf das tiefste zu bemitleiden, wie nicht nur ich und meine Frau meinen, sondern auch Lady Catherine und ihre Tochter, denen ich diese Angelegenheit berichtet habe. Sie stimmen mit mir auch darin überein, daß dieser Fehltritt Ihrer einen Tochter auch Ihren anderen Kindern schaden wird; denn wer — wie Lady Catherine in ihrer liebenswürdigen Anteilnahme sagte —, wer wird sich mit einer solchen Familie verbinden wollen? Dieses berechtigte Bedenken ruft meine Erinnerung mit einem Gefühl der Dankbarkeit an ein gewisses Ereignis des vergangenen Novembers wach, das, wenn es einen anderen Verlauf genommen hätte, mich mehr noch als jetzt an Ihrer Trauer und Schande hätte teilhaben lassen. Ich darf Ihnen noch den Rat geben, lieber Vetter, das Geschehene mit möglichstem Gleichmut zu ertragen, Ihre unwürdige Tochter für immer aus Ihrem Herzen zu reißen und sie dem Schicksal zu überlassen, das sie sich mit ihrer verruchten Tat selbst erwählt hat.
In alter Zuneigung verbleibe ich Ihr usw.‹
Mr. Gardiner schrieb erst wieder, als er eine Antwort von Oberst Forster erhalten hatte; seine Mitteilung klang nicht gerade ermutigend. Niemand hatte je etwas von irgendeinem Verwandten Wickhams gehört, mit dem er in Verbindung stehe; nahe Verwandte besitze er sicher keine. Sein früherer Bekanntenkreis sei sehr ausgedehnt gewesen; aber seitdem er in das Regiment eingetreten war, schien er keine von den alten Freundschaften aufrechterhalten zu haben. Es gab daher niemanden, an den man sich um Rat und Auskunft hätte wenden können. Dagegen hatte man einen weiteren Grund entdeckt, weswegen er sich verborgen hielt: nicht nur aus Furcht, von Lydias Familie zur Rechenschaft gezogen zu werden, er hatte auch Spielschulden, die eine ganz erhebliche Summe ausmachten und die er natürlich niemals würde begleichen können. Oberst Forster meinte, eintausend Pfund würden kaum hinreichen, um seine Verpflichtungen in Brighton zu decken. Er schulde verschiedenen Händlern und Gaststätten in der Stadt außerdem noch größere Summen; seine Ehrenschulden jedoch überträfen diese um ein beträchtliches.
Mr. Gardiner fügte noch hinzu, daß sein Schwager wahrscheinlich am folgenden Tage, einem Sonntag, nach Longbourn zurückkehren werde; der Mißerfolg seiner ersten Bemühungen habe ihn mutlos gestimmt, und er sei deshalb auf den Vorschlag Mr. Gardiners eingegangen, zu seiner Familie zurückzufahren, und habe es ihm überlassen, zu tun, was die jeweiligen Umstände zur Erreichung ihres Zieles erforderten.
Als Mrs.
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