Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
du Neues gehört? Sag doch! Hat Onkel geschrieben?«
»Ja, ich erhielt soeben einen Eilbrief von ihm.«
»Na und? Was steht darin? Gutes oder Schlechtes?«
»Was erwartest du noch Gutes?« meinte er und holte den Brief aus seiner Tasche heraus. »Hier lies, wenn du Lust hast.«
Elisabeth riß ihm das Schreiben in ihrer Ungeduld fast aus der Hand. Jetzt kam auch Jane keuchend heran.
»Lies laut«, sagte Mr. Bennet, »ich weiß kaum selbst, was eigentlich darin steht.«
›London, Montag, 2. August. Lieber Schwager, endlich bin ich in der Lage, Dir Neues über Deine Tochter schreiben zu können, und ich glaube, im großen und ganzen wird es zu Deiner Zufriedenheit ausfallen. — Kurz nachdem Du am Sonnabend fortgefahren warst, hatte ich das Glück, herauszufinden, wo die beiden sich aufhielten. Einzelheiten erzähle ich, wenn wir uns demnächst sehen, für heute mag genügen, daß sie gefunden sind. Ich habe beide schon gesehen …‹
»Was ich immer gehofft habe«, rief Jane, »sie sind verheiratet!«
›Ich habe beide schon gesehen — sie sind nicht verheiratet, und es sieht nicht so aus, als hätten sie je die Absicht dazu gehabt. Aber wenn Du Dich mit der Regelung, die ich für Dich vorgeschlagen habe, einverstanden erklärst, werden sie es wohl bald sein. Du brauchst nichts weiter zu tun, als Lydia in Deinem Testament von den fünftausend Pfund, die Deinen Töchtern einmal zufallen, den gleichen Anteil wie ihren Schwestern zuzusichern und Dich bereit zu erklären, während Deiner Lebenszeit Deiner Tochter eine jährliche Rente von 100 Pfund zu gewähren. Ich habe diesen Bedingungen, soweit ich das in Deinem Namen tun konnte, zugestimmt. — Ich teile Dir dies im Eilbrief mit, damit kein Verzug in Deiner Antwort eintritt. Du wirst aus diesen Einzelheiten auch ersehen, daß Wickham durchaus nicht so schlecht gestellt ist, wie man es allgemein angenommen hat. Man hat sich in dieser Beziehung geirrt; und es wird Dich freuen zu erfahren, daß sogar, nachdem alle seine Schulden bereinigt sind, noch ein gut Teil von seinem Vermögen übrig bleiben wird, das Deiner Tochter außer ihrem eigenen Vermögen überschrieben werden soll. Wenn Du mir, wie ich hoffe, Vollmacht erteilst, diese Angelegenheit für Dich in Ordnung zu bringen, will ich sofort unserem Notar den Auftrag geben, den Ehevertrag aufzusetzen. Es liegt gar kein Grund vor, daß Du noch einmal hierherkommst; bleib’ ruhig auf Longbourn und verlaß Dich auf meine Erfahrung und Sorgfalt. Schreibe aber so bald wie möglich und so genau wie möglich, was Du getan haben willst. Meine Frau und ich fänden es am besten, wenn Deine Tochter von unserem Hause aus getraut würde, und ich denke, Du wirst nichts dagegen haben. Morgen kommt sie zu uns. Ich berichte Dir mehr, sobald weiteres festgelegt worden ist.
Dein E. Gardiner‹
»Ist es möglich«, rief Elisabeth aus, als sie fertig gelesen hatte, »ist es möglich, daß er sie doch heiraten wird?«
»Wickham ist also doch nicht so schlecht, wie wir immer gedacht haben«, sagte Jane. »Wie freue ich mich, Vater.«
»Hast du den Brief schon beantwortet?« fragte Elisabeth. »Nein, aber ich muß es wohl bald tun.«
Elisabeth bat ihn inständig, keine Zeit mehr zu verlieren. »Komm bitte gleich zurück ins Haus«, rief sie, »denke daran, wie wichtig jeder Augenblick sein kann.«
»Na ja, wenn es nicht anders geht«, erwiderte ihr Vater, »getan werden muß es ja schließlich doch.«
Mit diesen Worten wandte er sich um und ging mit ihnen wieder über den Rasen zurück.
»Wie ist das übrigens …« begann Elisabeth, besann sich aber und fuhr fort: »Mit den Bedingungen wirst du dich wohl einverstanden erklären müssen, nicht wahr?«
»Einverstanden? Ich wundere mich nur, daß er so wenig gefordert hat.«
»Müssen sie denn unbedingt heiraten? Lydia einen solchen Mann?«
»Ja, ja, natürlich müssen sie heiraten. Etwas anderes ist da gar nicht mehr möglich. Aber zwei Dinge möchte ich gern wissen: erstens, wieviel Geld euer Onkel auf den Tisch legen mußte, um diese Heirat durchzusetzen, und zweitens, wie ich es ihm je zurückzahlen soll …«
»Geld? Unser Onkel?« rief Jane. »Was meinst du damit, Vater?«
»Ich meine damit, daß kein Mann, der bei klarem Verstand ist, Lydia heiraten würde, nur weil sie, solange ich noch lebe, jährlich hundert Pfund und später das kleine Erbteil bekommt.«
»Das stimmt«, meinte Elisabeth, »daran hatte ich gar nicht gedacht. Seine Schulden sollen bezahlt
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