Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
geschrieben:
›Meine liebe Harriet!
Du wirst schön lachen, wenn Du erfährst, wohin ich gefahren bin; und ich muß selbst lachen, da ich an Dein überraschtes Gesicht morgen denke, wenn Du mich plötzlich vermißt. Ich fahre nach Gretna Green, und wenn Du nicht raten kannst, mit wem, dann muß ich Dich für sehr einfältig halten; denn ich liebe nur einen einzigen Mann in der ganzen Welt, und dieser Mann ist ein Engel. Ich würde nie mehr glücklich sein ohne ihn, finde also nichts weiter dabei, daß ich einfach so davonfahre. Du brauchst nach Longbourn keine Nachricht zu senden, wenn Du keine Lust dazu hast; dann wird die Überraschung für sie um so größer sein, wenn ich ihnen selbst schreibe und ›Lydia Wickham‹ unterzeichne. Ist das nicht ein Riesenspaß? Ich kann kaum die Feder ruhig halten vor Lachen. Bitte, entschuldige mich bei Pratt, daß ich die Verabredung zum Tanzen nicht einhalten kann. Sag ihm, ich hoffe, er wird mir verzeihen, wenn er alles erfahren hat, und sag ihm noch, daß ich mit größtem Vergnügen mit ihm tanzen gehen werde, sobald wir uns wiedersehen. Meine Kleider lasse ich holen, wenn ich wieder in Longbourn bin; aber laß doch bitte Sally den Riß in meinem Musselinkleid stopfen, bevor Du alles wegpackst. Grüße bitte Deinen Mann von mir. Ich hoffe, Ihr werdet auf unsere glückliche Reise und unser Wohl ein Glas trinken.
Deine treue Freundin L. B.‹
»O du dumme, dumme Lydia!« rief Elisabeth aus, als sie den Brief zu Ende gelesen hatte. »So einen Brief in so einem Augenblick zu schreiben! Aber wenigstens beweist er, daß sie jedenfalls daran glaubte, die Reise werde mit einer Heirat enden. Wozu er sie auch später überredet haben mag —, als sie diesen Brief schrieb, hatte sie wenigstens sich noch nichts Böses gedacht. Armer Vater! Wie ihm das nahegegangen sein muß!«
»Ich habe noch nie jemanden so tief von einer Nachricht betroffen gesehen: volle zehn Minuten lang konnte er kein Wort herausbringen. Mutter wurde sofort krank, das ganze Haus kam in Aufregung. Sie war Schreikrämpfen nahe, und obwohl ich tat, was ich konnte, um sie zu beruhigen, habe ich wohl doch nicht genug getan, fürchte ich. Ich war selbst viel zu entsetzt, um einen klaren Gedanken fassen zu können.«
»Du hast dich mit Mutters Pflege überarbeitet. Du siehst gar nicht wohl aus. Ach, wenn ich doch nur hier gewesen wäre! Du hast nun die ganze Arbeit und Sorge allein tragen müssen!«
»Mary und Kitty sind sehr nett gewesen und hätten bestimmt keine Mühe gescheut, um mir zu helfen; aber ich hielt es für beide nicht gut. Kitty ist so zart und schmächtig, und Mary studiert so fleißig und gewissenhaft, daß ich sie nicht ihrer wenigen Mußestunden berauben wollte. Tante Philips kam am Dienstag nach Vaters Abreise her und war so lieb, mir bis zum Donnerstag Gesellschaft zu leisten. Sie war uns eine rechte Hilfe und ein wirklicher Trost. Und auch Lady Lucas ist sehr freundlich gewesen. Sie kam am Mittwochmorgen herüber, um uns zu trösten und uns ihre Hilfe oder die Hilfe einer ihrer Töchter anzubieten.«
»Sie hätte besser zu Hause bleiben sollen! Möglich, daß sie es wirklich gut gemeint hat, aber bei einem solchen Unglück wie diesem sieht man am besten möglichst wenig von den lieben Nachbarn. Helfen können sie doch nicht; ihren Trost und ihr Mitleid will kein Mensch haben. Sollen sie sich doch damit begnügen, aus der Ferne über uns die Nase zu rümpfen!«
Sie fragte dann noch, ob Jane wisse, welche Schritte ihr Vater in London zur Auffindung Lydias unternehmen wollte.
»Ich glaube, er wollte zuerst nach Epsom fahren«, erwiderte Jane. »Dort wechselten sie nämlich zuletzt die Pferde. Er wollte die Postillone ausfragen, ob die vielleicht etwas wissen. Aber die Hauptsache ist, daß er die Nummer des Wagens in Erfahrung bringen kann, in den sie in Clapham umgestiegen sind. Der Wagen soll gerade vorher mit Fahrgästen von London angekommen sein, und da Vater annimmt, daß es aufgefallen sein muß, wenn ein Herr und eine Dame aus der Postkutsche in einen Mietswagen umsteigen, wollte er sich nach Clapham begeben und dort nachforschen. Wenn er ausfindig machen kann, bei welchem Hause die Fahrgäste abgesetzt wurden, hoffte er, Nummer und Besitzer des Wagens feststellen zu können. Sonst weiß ich nicht, ob er noch weitere Pläne hat. Aber er war in einer solchen Eile, als er fortfuhr, und immer noch so bedrückt, daß ich nur gerade so viel, wie ich dir eben erzählt habe, erfahren
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