Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Bennet hiervon hörte, zeigte sie sich nicht ganz so erfreut, wie ihre Kinder es erwartet hatten, die sich noch genau an ihre Sorge um das Leben ihres Vaters erinnerten.
»Was? Er will ohne die arme Lydia nach Hause kommen?« rief sie aus. »Er kann doch London unmöglich verlassen, bevor er sie gefunden hat. Wer soll sich denn jetzt mit Wickham schlagen und ihn zwingen, sie zu heiraten, wenn ihr Vater sie im Stich läßt?«
Als Mr. Bennet wiederkam, zeigte er dieselbe Miene philosophischer Gelassenheit, die er stets zur Schau getragen hatte. Er redete so wenig wie immer und erwähnte mit keinem Wort den Anlaß, der ihn nach London hatte reisen lassen. Es dauerte eine ganze Weile, bis seine Kinder den Mut fanden, mit ihm über dieses unerquickliche Thema zu sprechen.
Erst am Nachmittag, als sie sich zum Tee setzten, brachte Elisabeth das Gespräch darauf; und als sie sagte, wie leid es ihr tue, daß er so viel habe durchmachen müssen, erwiderte er nur: »Laß nur. Es ist ja meine eigene Schuld und ist daher nur richtig, daß ich es tragen muß.«
»Meinst du, daß sich die beiden in London aufhalten?«
»Ja; wo könnten sie sich sonst so gut verborgen halten?« »Und Lydia wollte doch immer schon einmal nach London fahren«, warf Kitty ein.
»Nun, dann hat sie ja, was sie sich gewünscht hat«, meinte ihr Vater trocken.
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Lizzy, ich nehme es dir nicht übel, daß du mit deinem Rat damals im Mai recht gehabt hast.«
Er wurde durch Jane unterbrochen, die kam, um den Tee für ihre Mutter zu holen.
»Was ist das bloß für ein Theater!« rief er aus. »So ist es richtig; so muß es sein! Das gibt dem Unglück erst den vornehmen Anstrich! Ich muß es auch einmal so versuchen: ich werde mich mit Nachtmütze und Schlafrock in mein Studierzimmer zurückziehen und euch so viel Arbeit und Mühe machen, wie ich nur kann — aber ich werde damit warten, bis auch Kitty durchgebrannt ist.«
»Ich laufe nicht davon, Vater«, sagte Kitty beleidigt. »Wenn ich je nach Brighton kommen sollte, werde ich mich besser aufführen als Lydia!«
»Du nach Brighton? Ich würde es nicht wagen, dich auch nur in die Nähe zu lassen! Nicht für fünfzig Pfund! Nein, meine liebe Kitty, ich habe jetzt wenigstens das gelernt, vorsichtig zu sein, und du wirst das noch zu spüren haben. In mein Haus kommt nie wieder ein Offizier und auch ins Dorf nicht, wenn ich es verhindern kann. Bälle sind von heute an untersagt, außer wenn du mit einer deiner Schwestern tanzen willst. Und du darfst nie wieder einen Fuß vor das Haus setzen, bevor du nicht nachgewiesen hast, daß du wenigstens zehn Minuten von deinem Tag in einer vernünftigen Weise verbracht hast.«
Kitty nahm diese Drohungen so ernst, wie sie klangen, und fing an zu weinen.
»Nun, nun«, sagte ihr Vater beruhigend, »sei nicht so traurig! Wenn du dich in den nächsten zehn Jahren anständig aufgeführt hast, werde ich dich vielleicht einmal zu einer Parade mitnehmen.«
49. KAPITEL
Z wei Tage später, als Elisabeth und Jane im Garten sich befanden, sahen sie die Haushälterin auf sich zueilen und gingen ihr entgegen in der Meinung, ihre Mutter habe nach ihnen verlangt; aber statt der erwarteten Aufforderung, nach oben zu kommen, fragte sie Jane in großer Hast: »Entschuldigen Sie die Störung, gnädiges Fräulein, aber ich nahm an, Sie hätten vielleicht gute Nachricht aus der Stadt, und deshalb habe ich mir erlaubt, mich danach zu erkundigen.«
»Wovon reden Sie, Hill? Wir haben doch gar keine Nachricht aus London.«
»Aber Miss Jane«, rief Mrs. Hill höchst erstaunt aus, »wissen Sie denn nicht, daß ein Eilbrief von Mr. Gardiner angekommen ist?«
Ohne sich Zeit zum Antworten zu nehmen, liefen die beiden jungen Mädchen ins Haus: von der Halle ins Frühstückszimmer, von dort in die Bibliothek — nirgends trafen sie ihren Vater an; sie wollten gerade nach oben eilen in der Meinung, er sei vielleicht bei ihrer Mutter, als ihnen der Diener begegnete und sagte: »Wenn Sie den Herrn suchen, gnädiges Fräulein, er hat den Weg zu dem kleinen Wäldchen hinter dem Haus eingeschlagen.«
Schon waren sie wieder durch die Halle aus dem Haus gerannt und eilten über den Rasen hinter ihrem Vater her, der in geringer Entfernung vor ihnen mit schnellen Schritten dem Wäldchen zustrebte.
Jane, die weder so leicht, noch so leichtfüßig wie ihre Schwester war, blieb bald zurück, während Elisabeth ihn einholte und atemlos ausrief: »Vater, was hast
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