Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
»Ich möchte zu gern wissen, wie er sich unter Fremden aufführt.«
»Nun gut — aber ich warne Sie, es wird schrecklich! Zum ersten Mal traf ich ihn auf einem Ball; und was glauben Sie wohl, was er auf diesem Ball tat? Er tanzte nur viermal! Es tut mir leid, Ihnen dies sagen zu müssen, aber es stimmt, er tanzte nur viermal; dabei gab es nicht genug Herren, und ich weiß ganz genau, daß mehr als ein junges Mädchen Mauerblümchen spielen mußte, weil es von niemandem aufgefordert wurde. Mr. Darcy, Sie können diesen Tatbestand unmöglich leugnen!«
»Ich kannte damals keine von den anwesenden Damen außer den Schwestern meines Freundes.«
»Natürlich — und es ist ja nicht üblich, sich auf einem Ball vorstellen zu lassen!«
»Sie haben wohl recht«, meinte Darcy, »aber ich bin viel zu schüchtern, um mich ohne weiteres fremden Damen vorstellen zu lassen.«
»Wollen wir Ihren Vetter nach dem Grund dafür fragen?« sprach Elisabeth, noch immer an Fitzwilliam gewandt. »Wollen wir ihn fragen, wie es kommt, daß ein Mann, der gebildet und gar nicht dumm ist und der die Welt gesehen hat, sich scheut, mit Fremden bekannt zu werden?«
»Ich kann Ihnen die Frage beantworten«, erwiderte Fitzwilliam, »ohne sie an meinen Vetter weiterzuleiten. Der Grund ist ganz einfach der, daß er keine Lust dazu hat.«
»Nein, ich habe ganz bestimmt nicht das Talent, das viele Menschen zu besitzen scheinen«, warf Darcy ein, »das Talent, mich mit allen Leuten über ihre Sorgen und Freuden zu unterhalten, wie ich es andere tun sehe.«
Lady Catherines Stimme unterbrach das Gespräch. Sie wollte wissen, worüber man sich unterhalte. Elisabeth fing daraufhin sogleich wieder an zu spielen, und Lady Catherine kam herüber, hörte einige Augenblicke zu und sagte dann zu Darcy: »Miss Bennet würde gar nicht so übel spielen, wenn sie erstens fleißiger übte und zweitens sich einen Londoner Klavierlehrer leisten könnte. Ihre Fingerhaltung geht an, wenn auch ihr musikalisches Gefühl nicht so stark entwickelt ist wie Annes. Anne hätte bestimmt entzückend gespielt, wenn ihre schwächliche Gesundheit sie nicht am Üben verhinderte.«
Elisabeth betrachtete Darcy heimlich, ob ihm bei solchen Lobsprüchen eine Spur von Neigung für seine Cousine anzumerken sei. Nichts dergleichen war an ihm zu entdecken. Und so kam denn Elisabeth zu dem für Miss Bingley tröstlichen Schluß, daß er Caroline genau so gern geheiratet haben würde, wäre sie seine reiche Cousine gewesen.
Lady Catherine fuhr derweil in ihren Bemerkungen über Elisabeths Spiel fort, würzte sie hier und da mit Ermahnungen und bedauerte, daß nicht jeder ihr eigenes Musikverständnis besaß. Elisabeth ertrug dies alles mit größter Gleichgültigkeit; sie begann wieder zu spielen, und die Herren ließen sie nicht eher von dem Instrument fort, als bis der Wagen vor der Tür stand, um die Gäste nach Hause zu bringen.
32. KAPITEL
E lisabeth saß am nächsten Morgen allein zu Haus und schrieb an Jane, während Charlotte und Maria ins Dorf gegangen waren, um Besorgungen zu machen, als ein plötzliches Läuten an der Tür sie hochfahren ließ. Da sie keinen Wagen hatte kommen hören, vermutete sie, daß es Lady Catherine sein könnte, und steckte gerade ihren halbfertigen Brief fort, um allen naseweisen Fragen darüber zu entgehen, da öffnete sich die Tür und zu ihrer nicht geringen Überraschung trat Darcy ein — Darcy ohne jede Begleitung.
Er schien ebenfalls erstaunt zu sein, sie allein vorzufinden, und entschuldigte sein Eindringen damit, daß er angenommen habe, alle Damen zu Hause anzutreffen.
Er setzte sich, und nachdem Elisabeth sich an niemanden mehr erinnern konnte, nach dessen Wohlbefinden sie sich noch hätte erkundigen können, drohte die Unterhaltung aufzuhören, eine Unterhaltung zu sein. Sie mußte daher irgend etwas finden, und bei ihrem verzweifelten Nachdenken fiel ihr plötzlich ein, wann sie ihn zuletzt in Hertfordshire gesehen hatte, und da gleichzeitig mit der Erinnerung auch die Neugierde in ihr wach wurde, fragte sie: »Wie hastig Sie doch vergangenen November alle von Netherfield fortgingen, Mr. Darcy. Mr. Bingley war gewiß sehr freudig überrascht, daß Sie alle so bald nach ihm in London ankamen? Denn, wenn ich mich recht erinnere, fuhr er ja nur einen Tag vorher ab. Ihm und seinen Schwestern ging es hoffentlich gut, als Sie sie zuletzt in London sahen?«
»Ja, sehr gut, danke.«
Es enttäuschte sie etwas, keine ausführlichere Antwort
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