Stone Girl
eine romantischere Entdeckung gemacht. Dass es süß schmeckt zum Beispiel oder vollmundig, dass es aus ihrer Haut heraustropft wie der geschmolzene Kern eines halb flüssigen Schokoladenkuchens. Aber Sethies Blut tropft nicht. Es ist nicht langsam und vollmundig. Es ist dünn und rinnt ihr das Bein hinunter, als könne es sich gar nicht schnell genug von ihr entfernen.
Sethies Blut ist eine Enttäuschung. Sie spuckt es in den Mülleimer neben ihrem Schreibtisch. Sie ist froh, es nicht geschluckt zu haben. Am Ende hat Blut noch Kalorien.
Sie lehnt sich gegen das Bett und formt mit den Händen eine Schale, um ihr Blut aufzufangen. Aber es hat schon wieder aufgehört zu rinnen.
Als das Telefon klingelt, zuckt sie zusammen. Das Blut auf ihrer Hand ist bereits getrocknet, nichts tropft mehr auf den Boden. Erneut hat sie einen metallischen Geschmack im Mund, aber diesmal ist es kein Blut, sondern Adrenalin. Sie merkt gar nicht, dass sie den Atem anhält, bevor sie ans Telefon geht, weil sie jedes Mal, wenn es klingelt, vermutet, es könnte Shaw sein.
12
Janey sagt, sie würde heute zur Columbia gehen und Sethie müsse unbedingt mitkommen. »Zieh dich an. Die warten schon alle auf uns.«
Sethie fühlt sich schuldig, weil sie alle hat warten lassen, nur um sich im Spiegel zu inspizieren. Dabei wusste sie bis gerade eben noch gar nicht, dass sie zur Columbia gehen würde. Sie ist sich nicht sicher, wer »alle« sind, doch Shaw wird dabei sein, glaubt sie.
»Was ziehst du an?«, fragt Sethie.
»Jeans und irgendein ausgeflipptes Top. Ich lege jetzt auf und steige in ein Taxi – wir sehen uns in fünf Minuten bei dir an der Ecke.«
»Fünf Minuten reichen mir nicht, um mich fertig zu machen, Janey! Das reicht ja kaum, um nach unten zu gehen.« Sethie ist richtig in Panik. Schließlich muss sie sich noch das getrocknete Blut von ihrer Hand und ihrem Bein waschen.
»Aber natürlich reicht das, bei einem so hübschen Mädchen wie dir. Bis in fünf Minuten!«
Einen Moment lang starrt Sethie das Telefon in ihrer Hand an. Eigentlich versteht sie gar nicht, wieso sie überhaupt mit Janey dorthin soll. Shaw war noch kein einziges Mal pünktlich, seit sie ihn kennt. Wenn sie auf ihn warten würde, hätte sie alle Zeit der Welt, darauf könnte sie wetten. Aber Janey ist bereits im Lift und auf dem Weg zu ihr.
Sethie flitzt zu ihrem Schrank und zieht die Schublade mit den Jeans heraus. Denn wenn sie Jeans trägt, wird sowieso keiner das Blut bemerken.
»Nicht schlecht für fünf Minuten, junge Dame«, sagt Janey. Sethie wünscht, sie hätte mehr Zeit gehabt. Ganz offensichtlich hat Janey viel Geduld darauf verwendet, ihre Augen mit schwarzem Eyeliner einzurahmen. Sethies eigenes Make-up wirkt dagegen schlampig und unzureichend. Heute Morgen hat Sethie versucht, sich genauso zu schminken wie Janey gestern, aber irgendwie hat es an ihr nicht so gut ausgesehen. Der schwarze Eyeliner hat ihre Augen zu rund erscheinen lassen, fast, als würden sie gar nicht zu ihrem Gesicht gehören. Außerdem ist ihr Haar immer an der Vaseline kleben geblieben, die sie sich auf die Lippen geschmiert hat. Später ist Sethie eingefallen, dass Janey ihr Haar meistens zu einem Pferdeschwanz bindet. Das Make-up hat seltsam an Sethie ausgesehen, so als müssten selbst Leute, die ihr noch nie zuvor begegnet sind, merken, dass sie normalerweise anders aussieht. Also hat sie heute Abend pinkes Lipgloss und schokobraune Wimperntusche aufgetragen. Sie hat sich Rouge auf die Wangen und Puder auf die Augenlider getupft. Sie hätte ihr Werk gerne noch mit braunem Eyeliner abgerundet, aber dazu hatte sie keine Zeit mehr.
Janey war in Gedanken schon beim nächsten Thema.
»Die feiern fast jedes Wochenende irgendwelche Partys. Die Schule sieht das gar nicht gerne, aber de facto befindet sich das Gebäude nicht auf dem Campus, also können sie nichts machen.«
Sethie nickt. Sie hat eigentlich angenommen, dass in allen Verbindungshäusern Partys steigen.
»Doug sagt, es ist das coolste Haus auf dem ganzen Campus.«
»Ich dachte, es liegt nicht auf dem Campus.« Sethie zwinkert ihr zu.
»Na ja, genaugenommen nicht. Aber, ich meine … es ist das beste Haus von all den Burschenschaften da oben.«
Sethie nickt. Wahrscheinlich ist das wichtig. Obwohl es eiskalt ist, kurbelt sie das Taxifenster ganz herunter. Sie hat heute nicht viel gegessen, und die kalte Luft macht sie ein wenig wacher. Sie sollte sich einen Kaffee besorgen. Oder eine Cola zero ohne Kalorien.
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