Stone Girl
Es würde eine lange Nacht werden.
Janey marschiert so selbstverständlich in das Verbindungshaus, als würde sie dazugehören, was sie, wie Sethie vermutet, in gewissem Sinne auch tut. Janey und Doug sind nun schon seit fast zwei Monaten zusammen. Janey zieht Sethie zur Treppe. Sie will gleich hinauf in Dougs Zimmer. Sethie möchte erst gucken, ob Shaw vielleicht schon da ist, also bleibt sie ein wenig hinter Janey zurück. Auf einer Couch neben dem Fenster sieht sie ihn. Sie lächelt.
»Warte«, sagt sie zu Janey. »Ich will Shaw schnell Hallo sagen.« Sie lässt Janeys Hand los.
Shaw bemerkt sie erst, als sie direkt neben ihm steht. Sie würde sich gerne zu ihm hinunterbeugen, um ihm einen Begrüßungskuss zu geben, doch sie glaubt nicht, dass er das gut finden würde. Also wartet sie ab.
Shaw zieht die Augenbrauen hoch. »Hey!«, sagt er laut. »Wann bist du denn gekommen?«
»Gerade eben, mit Janey.«
»Ah«, erwidert Shaw nickend. Er hebt einen Arm, den er gerade noch auf der Couchlehne hinter sich abgelegt hatte. Für einen Moment glaubt Sethie, er würde ihre Hand nehmen und sie zu sich hinunter auf seinen Schoß ziehen. Doch stattdessen deutet er auf ein Mädchen und einen Jungen, die neben ihm sitzen. »Das ist Anna, und Jeff Cooper kennst du ja schon, nicht wahr?« Sethie nickt. Jeff und Anna sind ein Paar, glaubt sie, aber es ist schwer zu sagen. Die Couch ist so schmal, dass sie alle recht eng beieinandersitzen.
»Sag Janey, sie soll sich da oben nicht zu sehr in Schwierigkeiten bringen«, sagt Shaw, legt seinen Arm wieder nach hinten auf die Lehne und nickt in Richtung Treppe. Sethie nimmt an, dass sie jetzt gehen soll. Shaw hat ihr eine Nachricht für Janey übermittelt.
»Okay«, sagt sie, »mach ich.« Sie findet, dass Shaw irgendwie ärgerlich aussieht, aber sie weiß nicht genau, warum.
Sethie weiß nicht mehr genau, welches Dougs Zimmer ist, und jetzt, da Janey weg ist, hat sie niemanden, der ihr den Weg zeigen könnte. Sie hat Angst, ins falsche Zimmer hineinzuplatzen, aber sie weiß, dass es idiotisch aussieht, wie sie hier so vor den geschlossenen Türen herumlungert. Sie spitzt die Ohren, bis sie glaubt, Janeys Lachen zu hören. Sie geht dem Klang nach, kommt sich sehr mutig vor, als sie den Türknopf dreht, und ist geradezu beglückt, als sie sieht, dass sie das richtige Zimmer erwischt hat.
»Sethie!«, quietscht Janey, als sie die Tür öffnet. Sie springt von der Couch auf. »Du hast uns gefunden!«
Janey gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Ihre Lippen sind klebrig und warm. »Alle mal herhören, das ist meine beste Freundin Sethie. Ist sie nicht hübsch?«
Sethie versteht nicht ganz, weshalb Janey sich an »alle« wendet, außer ihr sind nur noch Doug und ein anderer Junge im Raum. Janey verschenkt ihre Zuneigung schnell, wenn nicht gar leichtfertig: Schon jetzt ist Sethie ihre beste Freundin und Doug ihr fester Freund. Aber trotzdem, es fühlt sich gut an, als jemandes beste Freundin bezeichnet zu werden. Seit der Grundschule, wo Sethie so ungefähr jeden Monat eine neue beste Freundin hatte, hat sie niemand mehr so genannt.
Janey nimmt ihre Hand. »Setz dich hierher«, sagt sie und führt Sethie zu einer schmalen Couch, vielleicht ein Zweiersofa. »Du machst ihr doch ein bisschen Platz, nicht wahr?«, fragt Janey den schlaksigen Jungen, der in der Sofaecke sitzt und nickt. Sethie lässt sich auf dem Sofa nieder.
Janey setzt sich neben Doug und gegenüber von Sethie aufs Bett. Fast automatisch legt er den Arm um sie. Sethie könnte wetten, dass er ihr zur Begrüßung auch einen Kuss gibt.
»Ist Sethie eine Abkürzung für irgendwas?«
»Was?«, erwidert Sethie und wendet den Blick von Doug und Janey ab.
Der schlaksige Junge neben ihr auf der Couch wiederholt seine Frage: »Ist Sethie eine Abkürzung für irgendwas?«
Sethie nickt. »Jup. Und wie heißt du?«
Der Schlaksige lächelt. »Du hast mir noch nicht gesagt, für was Sethie die Abkürzung ist.«
Sethie lächelt zurück. »Du hast mich ja auch nicht gefragt.«
Das Lächeln des Schlaksigen wird breiter. »Du bist ziemlich pfiffig, oder?«
»Ja, bin ich in der Tat.« Sethie kann nicht glauben, dass sie das gerade gesagt hat. Das ist genau die Art schlagfertiger Antwort, die Janey normalerweise gegeben hätte, aber nicht sie. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Schlaksige ein großes Konversationstalent sein muss.
»Also, wie heißt du?«, fragt sie erneut.
»Ben.«
Sethie nickt.
»Und für was ist Sethie jetzt
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