Stone Girl
die Abkürzung?«
Sethie hält kurz inne, bevor sie antwortet. Sie könnte versuchen, noch einmal so schlagfertig zu reagieren. Doch anstatt ihr Glück herauszufordern, sagt sie nur: »Sarah Beth«.
Ben neigt den Kopf, als würde er darüber nachdenken. »Ist Beth dein zweiter Vorname oder gehört er noch zu deinem ersten Namen?«
»Mein zweiter.«
»Warum nennst du dich dann nicht einfach Sarah?«
Sethie schürzt die Lippen, wobei ihr auffällt, wie trocken sie sind. Sie wünscht, sie würde Lipgloss tragen, wie Janey.
»Keine Ahnung.«
»Hat dich das noch nie jemand gefragt?«
Sethies Lächeln verzieht sich zu einem Lachen. »Nein, noch nie.«
»Also bin ich der Erste für dich«, sagt Ben mit hochgezogenen Augenbrauen.
Immer noch lachend erwidert Sethie: »Klar, so kannst du es auch nennen.«
Sethies Blick fällt wieder auf Doug und Janey, die lächeln und sich gegenseitig irgendetwas zuflüstern, während sie zu ihnen herüberschauen. Ganz bestimmt reden sie über sie, aber sie kann sich nicht vorstellen, über was und warum. Doch ausnahmsweise ist es ihr mal egal, zumindest für den Moment. Ihr ist warm, die Couch ist weich und neben Bens langen Armen und Beinen sieht sie klein aus. Und klein ist fast schon dünn. Ben gibt ihr ein Bier.
»Danke.« Sie nimmt die Dose entgegen, öffnet sie aber nicht.
»Also eigentlich ist es so gedacht«, sagt Ben »… dass du den kleinen Pinöckel hier umlegst und …«
Sethie spielt die Entrüstete: »Also hör mal! Mir ist die Verschlussmechanik von Dosen durchaus vertraut.«
»Na, dann leg mal los.«
»Nein. Ich weiß noch nicht, ob ich das Bier trinke oder nicht.«
»Und wieso das?«
»Ich habe heute nicht besonders viel gegessen, also werde ich mich ein bisschen zügeln müssen.« Sethie kann nicht anders als einen Anflug von Stolz zu empfinden, als sie erwähnt, dass sie wenig gegessen hat. Einfach so, als wäre das keine große Sache. Als wäre sie ein ganz normales, dünnes Mädchen, das die eine oder andere Mahlzeit auslassen kann, ohne groß darüber nachzudenken oder Magenknurren zu haben, ohne sich zu überlegen, wie das Essen wohl geschmeckt hätte und wie viele Kalorien es gehabt hätte.
»Na, das geht ja gar nicht«, sagt Ben. »So ein Strich in der Landschaft wie du.« Er streckt den Arm aus und greift über die Couch hinüber, über Sethie hinweg. Sie drückt sich so tief in die Polster wie nur irgend möglich. Beinahe berühren seine Finger ihre Brust. Sie hält den Atem an.
»Hier«, sagt er schließlich. Er hat sich eine Tüte Chips von dem kleinen Tisch neben Sethie geschnappt. Sethie hat sie vorher gar nicht gesehen, doch jetzt, da sie direkt vor ihr liegen, läuft ihr das Wasser im Mund zusammen. Wie haben sie die ganze Zeit dort stehen können, ohne dass sie sie bemerkt hat?
»Ooh«, ruft Janey und greift nach der Tüte. »Lecker!« Sie wendet sich an Doug. »Können wir uns nicht ein paar Pizzen aus diesem einen Laden holen?«
»Na klar«, sagt Doug, doch Sethie denkt nur: Was für ein Laden? Janey würde ja nicht von »diesem einen Laden« sprechen, wenn sie dort nicht schon mal Pizza gegessen hätte. Wobei Janey ja regelmäßig hier ist, um sich mit Doug zu treffen. Schließlich ist sie seine Freundin.
»Sethie, du wirst die Pizza lieben«, sagt Janey. Sie steht auf, geht zum Fenster, setzt sich auf den Sims und zündet sich eine Zigarette an. Sethie erhebt sich ebenfalls, um sich neben sie zu stellen. Chips und Pizza, denkt sie. Und Bier. Vielleicht wird ihr eine Zigarette helfen, die Finger von den Chips zu lassen, bis die Pizza da ist.
Doch die Zigarette brennt schnell herunter, und Janey greift mit der Hand in die Chipstüte. Sethie beobachtet die Freundin, schaut zu, wie sich ihr Kinn beim Kauen bewegt, stellt sich vor, wie sich die knusprigen Chips in eine breiige Masse verwandeln. Die Verdauung beginnt schon im Mund, denkt sie. Je mehr man kaut, desto besser. Doch Janey, die erneut in die Tüte greift, sieht nicht so aus, als würde sie sich über ihre Verdauung oder Kalorien Gedanken machen.
Sethie glaubt, dass Janey ihnen etwas vormacht. Auch wenn sie behauptet, Kalorienzählen sei nur eine Phase gewesen, durch die sie damals gegangen sei. Es kann heutzutage kein Mädchen mehr geben, das beim Essen nicht wenigstens flüchtig über das darin enthaltene Fett nachdenkt. Nur Jungs und kleine Kinder können das.
Sethie beschließt, den anderen auch etwas vorzumachen. Nur jetzt. Nur für ein paar Chips. Nur bis die Pizza
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