Stone Girl
nickt.
»Du solltest behaupten, du seist eins achtzig groß«, meint Sethie. »Um die Leute ein bisschen zu fordern.«
Ben lacht. »Ich werde es probieren.«
Sethie lächelt ihm zu. »Deine Freunde haben bestimmt alle Nackenschmerzen«, sagt sie.
Ben grinst. »Dafür tun mir vom vielen Runterbeugen die Schultern weh, das ist nur fair.«
Sethie nickt. »Du hast recht, es ist fair.«
Für einen kurzen Moment wünscht sie sich, größer zu sein, dann könnte sie die einzige Freundin von ihm sein, bei der ihm die Schultern nicht wehtun. Es ist ein seltsamer Wunsch, und er hält auch nicht lange an. Alles, was Sethie je wollte, war, kleiner zu sein. Eines der Dinge, die sie an Shaw am meisten mag, ist, wie klein sie sich neben ihm fühlt. Als sie das Bad betritt, muss sie sich kurz entsinnen, warum sie überhaupt hier ist.
Es ist ein richtiges Badezimmer und nicht einfach nur eine Aneinanderreihung von Duschkabinen. Es gibt eine Wanne, ein Waschbecken und eine Toilette. Ihr Blick wandert zuerst zu der Badewanne. Ein halbes Dutzend Shampoos stehen auf dem Rand aufgereiht. Über der Stange vom Duschvorhang hängen drei oder vier Handtücher. Dieses Bad scheint für alle Jungs aus dem Stockwerk zu sein. Sethie fragt sich, ob es morgens sehr voll ist und wie sie wohl entscheiden, wer von ihnen es zuerst benutzen darf, und was sie tun, wenn jemand anderer ihr Shampoo aufgebraucht hat.
Das ganze Waschbecken ist mit Zahnbürsten und Zahnpastatuben vollgestellt. Für Sethie sehen sie alle gleich aus. Sie fragt sich, ob sie auf dem College wohl versehentlich die Zahnbürste von jemand anderem benutzen wird. Sie beschließt, ihre Toilettenartikel bei sich im Zimmer aufzubewahren, komme, was wolle. Wobei es in Wohnheimen oder Stockwerken für Studentinnen sicher besser aussieht als hier.
Sie meidet die Toilette. Sie hat Angst vor dem Schmutz, den sie dort vermutet, Angst, sich davor zu kauern und ihre Knie dort aufzustützen, wo Dutzende von Jungs vielleicht schon das Klobecken verfehlt haben. Sie schaut sich nach einer Klobürste um. Neben der Badewanne steht eine Flasche Meister Proper. Sie greift danach und richtet sie in die Toilette. Noch immer hält sie einen guten Meter Abstand. Sie wünscht, es wäre wenigstens ein antibakterielles Putzmittel.
Sie findet, sie verhält sich wie ein Baby. Schließlich wird sie die Toilette nicht berühren und sie wird die Augen zumachen. Im Prinzip berühren nur ihre Knie den Boden und die sind durch ihre Jeans geschützt.
Also geht sie in die Hocke. Sie schließt die Augen und steckt sich die Hand in den Mund. Ihre Fingernägel kratzen über ihren Gaumen. Sie stochert so lange mit den Fingern in ihrem Hals herum, bis sie würgen muss. Verdammt, denkt sie, ich hätte mir die Ärmel hochkrempeln sollen.
Brechen ist ein Vorgang, der in Wellen abläuft. Als Erstes sieht sie etwas Rotes. Die Tomatensauce. Leicht und völlig problemlos kommt sie aus ihr heraus. Genauso der pinkfarbene Alkohol. Aber dann entdeckt sie weiße Brocken, den Pizzaboden, ganze Stücke, die sie kaum gekaut hat. Sie schüttelt über sich selbst den Kopf. Kauen sollte sie eigentlich besser beherrschen. Sie glaubt, die Chips werden als Nächstes kommen. Wenn sie nur bis zu den Chips käme, denkt sie, dann könnte sie aufhören. Nur noch einmal, sagt sie sich.
Sie führt ihre Hand zum Mund und öffnet die Lippen. Sie drückt gegen die Zähne, doch sie bekommt sie nicht auseinander. Sie lacht beinahe bei dem Gedanken, den eigenen Unterkiefer nach unten reißen zu müssen.
Jetzt komm schon, Mund, denkt sie, nur noch einmal. Dann höre ich auf, versprochen. Sie schließt die Augen. Wenn sie nicht vor einer Kloschüssel knien würde, könnte man meinen, sie würde beten. Oder betteln. Was sie ja eigentlich auch tut. Sie bettelt ihren Kiefer an, sich endlich zu öffnen.
Jemand klopft an die Tür.
»Eine Sekunde!«, ruft Sethie. Jetzt hat sich ihr Mund ohne Probleme geöffnet, doch ihre Stimme klingt heiser.
»Sethie, ich bin’s, lass mich rein«, erklingt Janeys Stimme.
Scheiße, denkt Sethie und steht auf. Ihre Hand ist voller Kotze, und als sie die Spülung betätigt, platscht ein bisschen was davon auf die Klobrille, ein zweiter Batzen klebt an der Spülung. Hier drin gibt es keine Papiertücher, also greift sie nach dem Klopapier, und während sie die Sauerei entfernt, bleiben einzelne Brocken an ihrer Hand kleben.
»Sethie, lass mich rein! Ich muss pinkeln!«
Sethie blickt sich um. Sie glaubt nicht, dass
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