Stone Girl
›Nein, es heißt Ben‹.«
Ben lacht. »Im College werden eigentlich keine Namen mehr aufgerufen.«
»Vielleicht ist das nur in den Seminaren so, die mit Lehrbüchern arbeiten«, sagt Sethie, und Ben lächelt ihr zu. »Ich muss mein Umfeld ständig verbessern. ›Bitte nicht Sarah oder Sarah Beth, sondern einfach nur Sethie‹, sage ich dann. Und ich werde böse auf diese völlig fremden Menschen. Verstehst du, was ich meine?«
»Ben ist eine sehr viel gängigere Abkürzung«, antwortet er kopfschüttelnd. »Aber was stört dich an einem Namen, der einer kurzen Erklärung bedarf? Das verleiht ihm mehr Gewicht, oder nicht?«
Sethie denkt darüber nach. Sie dachte immer, ihr Name würde sein Gewicht nur durch die Menschen erhalten, die ihn aussprechen. Shaw mit seiner rauen Krächzstimme, Janey mit ihrer perfekten Sprechtechnik und jetzt Ben, der Riese mit der tiefen Stimme.
Sethie glaubt, sie wird gleich in Tränen ausbrechen, genau hier, vor Ben. Sie hat Hunger, ihr ist kalt und sie weiß, dass Janey darauf wartet, ihr irgendetwas mitzuteilen, was sie wirklich, wirklich nicht hören will.
Sie beißt sich auf die Lippen, atmet tief ein und sagt: »Gibt es hier in der Nähe irgendwelche guten Sushi-Lokale?«
Ben zieht die Nase kraus. »Hängt davon ab, was du unter ›gut‹ verstehst.«
»Einigermaßen gut würde schon reichen.«
»Dann ja, wir haben hier ein paar einigermaßen gute Sushi-Adressen.«
»Aber du lernst gerade für deine Abschlussprüfungen, oder?«
»Ja«, sagt Ben. »Aber ein Mann muss schließlich auch was essen.«
Sethie grinst. »Deiner Größe nach zu urteilen, würde ich sagen, du isst ziemlich regelmäßig.«
Ben lacht.
»Also los, Sarah Beth.«
Gut, dass Janey nirgends zu sehen ist, als Ben die Tür öffnet. Sie muss oben in Dougs Zimmer sein. Sethie lässt Ben als Erstes die Treppe hinuntergehen. Sogar zwei Stufen unter ihr scheint er immer noch größer als sie zu sein, aber zumindest kann sie ihm so besser in die Augen schauen.
»Ben«, sagt sie und bleibt auf den Stufen stehen. Er dreht sich nach ihr um. »Ist das Leben im College genauso kompliziert wie in der Highschool?« Die Frage muss sie sehr jung wirken lassen, und sie ist überrascht, dass ihr das nichts ausmacht.
Ben legt den Kopf schief. »Nein«, sagt er bedächtig. »Im College ist das Leben definitiv unkomplizierter.« Sethie lächelt. »Aber Lehrbücher brauchst du trotzdem«, fügt er hinzu, dreht sich um und läuft weiter die Treppen hinunter.
14
Ben hat gesunde Essgewohnheiten. Aus irgendeinem Grund war Sethie der Meinung, nur weil er groß sei, könne er essen, was er wolle, ohne zuzunehmen. Er hat schließlich so viel Oberfläche, um Energie abzugeben. Und bestimmt verbraucht der Schritt eines Zwei-Meter-Manns mehr Kalorien als der Schritt eines ein Meter dreiundsechzig großen Mädchens. Doch Ben hat nur eine Misosuppe und eine Frühlingsrolle vor sich stehen, und er nimmt kaum von der Sojasauce.
Sethie hingegen ertränkt jeden Bissen in der Sauce. Irgendwo hat sie mal gelesen, dass magersüchtige Mädchen immer sehr viel Salz und Senf verwenden und ihr Essen allgemein stark würzen, um ihrem Körper vorzugaukeln, sie hätten mehr zu sich genommen als es eigentlich der Fall war. Sie mag es, dies mit ihnen gemein zu haben. Als der Ober ihre Teller vom Tisch nimmt, ist Sethies Tischseite mit Saucespritzern übersät und ihre Serviette ist mehr braun als weiß. Beim Aufstehen streift ihr Blick die Serviette auf dem weißen Tischtuch und sie denkt, dass sie wie ein blutdurchtränkter Verband aussieht. Ein Verband, auf dem das Blut bereits getrocknet und braun geworden ist.
Ben geht langsam, doch seine Beine sind so lang, dass es Sethie trotzdem so vorkommt, als würden sie die Straße entlangrennen. Eigentlich will sie überhaupt nicht zurück zum Verbindungshaus. Sie spielt mit dem Gedanken, sich an Ort und Stelle ein Taxi zu rufen und direkt nach Hause zu fahren, ohne Janey überhaupt noch mal unter die Augen zu treten. Ben meint, Janey habe auf keinen Fall mit Shaw geschlafen, sie und Doug seien viel zu sehr ineinander verliebt. Doch Sethie hat dagegengehalten, dass die beiden etwas miteinander angefangen haben könnten, bevor Janey Doug kennenlernte. Vielleicht haben Janey und Shaw es die ganze Zeit vor ihr geheimgehalten, vor dem dummen, kleinen Mädchen, die dachte, sie hätte einen festen Freund, der doch in Wirklichkeit nur ihr Fickfreund war. Sie kann es kaum glauben, dass sie Ben all das
Weitere Kostenlose Bücher