Stone Girl
erzählt hat. Sie weiß, dass sie wie eine Närrin aussieht, dass sie sich wie ein kleines Kind verhalten hat. Wie jemand, der naiv genug ist, zu glauben, all der Sex würde automatisch in eine Beziehung münden. Doch Ben scheint sie nicht für unreif zu halten. Wenn man überhaupt etwas bewerten kann, so sagt er, dann ist ihre Vorstellung von einer Beziehung sehr viel erwachsener als die von Shaw. Aber er ist nur nett, das weiß Sethie. Sie weiß, dass im Moment kein Junge ein Mädchen wie sie wollen würde. Ein Mädchen, das gedemütigt wurde, ein Mädchen, das die Regeln missverstanden hat. Die Regeln, um mit dem Jungen zu schlafen, mit dem sie nun mal geschlafen hat. Heute Nacht hat sie zum ersten Mal gesagt, sie sei in Shaw verliebt. Noch nie zuvor hat sie es ausgesprochen und ganz bestimmt hat sie nie vorgehabt, es Shaw zu sagen. Und jetzt hat sie es diesem anderen Jungen hier gebeichtet, den sie eigentlich gar nicht kennt.
Als sie es ausgesprochen hat, hat Ben mit den Schultern gezuckt. Zuerst dachte Sethie, er wolle ihre Gefühle abschütteln, als seien sie nicht echt. Schließlich ist sie noch in der Highschool, was weiß sie schon über die Liebe? Sie dachte, er würde mit den Schultern zucken, weil ein erwachseneres Mädchen die Signale vielleicht nicht missverstanden hätte. Ein erwachseneres Mädchen hätte es besser gewusst, als sich in Shaw zu verlieben, als zu glauben, sie habe einen festen Freund, der sie auf eine versteckte, unverständliche Art ebenfalls liebte.
Doch stattdessen meint Ben nur: »Wir können eben nicht steuern, an wen wir unser Herz schenken.«
»Wem«, verbessert Sethie ihn. »Wem wir unser Herz schenken.« Sie merkt, dass sie lächelt, wo sie doch eigentlich verlegen sein sollte. Sie nimmt Ben wegen seiner fehlerhaften Grammatik auf den Arm und fühlt sich gut dabei, weil sie weiß, dass sie ein kluges Mädchen ist. Und das, obwohl sie sich vor einer Minute noch so unfassbar dumm gefühlt hat.
»Wem«, wiederholt Ben. »Du weißt wirklich immer ganz genau, was man wann sagen muss.« Es klingt, als würde er das gut finden.
Jetzt laufen sie zurück zum Verbindungshaus und Sethie ist überrascht, als sie merkt, dass sie Bens Hand hält. Sie hat den Arm ausgestreckt und nach ihr gegriffen, einfach so, als sei es das Normalste der Welt. Genauso wie sie es mit Shaw immer hat machen wollen. Doch sie ist zu ängstlich gewesen. Sie fühlt sich besser, mutiger, seit sie Bens Hand hält.
Bevor sie zu Doug hinaufgehen, machen sie erst in Bens Zimmer halt. Er kritzelt etwas auf einen Block, der auf seinem Schreibtisch liegt, und reißt das Papier ab.
»Das hier ist meine Telefonnummer«, sagt er. »Ruf mich jederzeit an, wenn dir das Leben zu kompliziert wird.«
Ben steht neben ihr, als sie an Dougs Tür klopft. Janey liegt auf Dougs Bett, doch als sie Sethie sieht, richtet sie sich kerzengrade auf.
»Ich wusste nicht, dass du noch da bist.«
»War ich auch für einige Zeit nicht. Wir sind essen gegangen.«
Janey lächelt. »Wie schön.«
Sethie merkt, dass ihre Freundin trotz allem immer noch hofft, sie und Ben würden zusammenkommen, so wie sie und Doug.
»Wir haben nur ein bisschen die Zeit totgeschlagen«, fügt Sethie schnell hinzu, und Janey nickt.
»Doug musste in die Bibliothek. Er hat nächste Woche seine Abschlussprüfungen.«
»Ich weiß, Ben auch.«
Hinter ihr sagt Ben: »Ich geh dann auch mal lieber wieder lernen. Findet ihr Mädels alleine raus?«
Beide nicken und Ben schließt die Tür hinter sich.
»Es ist seltsam, ohne Doug hier zu sein«, sagt Sethie schließlich.
»Ich gewöhne mich gerade daran«, entgegnet Janey.
»Ich dachte, du schläfst mit Shaw«, sagt Sethie. »Aber Ben meint, du würdest Doug nie betrügen.«
Janey schüttelt den Kopf. »Ich glaube, wir lieben uns«, antwortet sie.
»Wirklich?«
Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. »Ja. Wir unterhalten uns oft darüber. Zurzeit finden wir, dass wir uns so gut wie lieben.«
»Gibt’s da Abstufungen?«
Jane zuckt die Achseln. »Schätze schon. Über die Ferien nimmt er mich mit zu sich nach Hause.«
»Wo wohnt er denn?«
»In Virginia.«
»Ach ja, richtig. Das hatte ich vergessen.«
Sethie setzt sich Janey gegenüber auf die Couch. Aus dem Mund ihrer Freundin klingt Virginia wie ein magischer Ort, exotisch, aufregend und neu. Virginia ist das Land von Thomas Jefferson und Dave Matthews. Ein älterer Junge aus Virginia ist etwas ganz anderes als ein Junge, der einen Monat
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