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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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wirklich nicht weiter wichtig.«
    Und Stoner begriff, dass es wirklich unwichtig war. Grace’ Augen blickten an ihm vorbei in eine Ferne, die sie nicht sehen konnte und an die sie ohne alle Neugier dachte. Er verstummte und ließ Frau und Tochter Pläne machen.
    Es wurde beschlossen, dass man Grace’ ›jungen Mann‹, wie Edith ihn nannte, als wäre sein Name irgendwie verboten, ins Haus einladen wolle, damit Edith mit ihm ›reden‹ könne. Sie plante den Nachmittag, als wäre es eine Szene in einem Theaterstück, zu dem Abgänge, Auftritte und sogar einige Zeilen Dialog gehörten. Stoner würde sich gleich entschuldigen, Grace noch einige Augenblicke bleiben und dann ebenfalls gehen, sodass Edith sich allein mit dem jungen Mann unterhalten konnte. Eine halbe Stunde später sollte Stoner zurückkehren, danach Grace, bis dahin dürften alle nötigen Vereinbarungen getroffen worden sein.
    Und alles lief genau so ab, wie Edith es geplant hatte. Später fragte sich Stoner verwundert, was der junge Edward Fyre wohl gedacht haben mochte, als er furchtsam an die Tür klopfte und in einen Raum mit all seinen Todfeinden gelassen wurde. Er war ein großgewachsener, gut gebauter junger Mann mit irgendwie verwischten, leicht verdrießlichen Zügen, der vor Furcht und Verlegenheit wie betäubt schien und niemandem ins Gesicht sehen wollte. Als Stoneraus dem Raum ging, hockte er zusammengesunken in einem Sessel, die Unterarme auf den Knien, den Blick zu Boden gerichtet; und als er eine halbe Stunde später zurückkam, saß der junge Mann in genau derselben Haltung da, so als hätte er sich unter dem Kanonendonner von Ediths vogelhafter Fröhlichkeit nicht ein einziges Mal geregt.
    Alles war geregelt. In einem hohen, künstlich klingenden Ton, doch mit aufrichtig erfreuter Stimme informierte ihn Edith, dass ›Grace’ junger Mann‹ aus St. Louis stamme, einer guten Familie angehöre, der Vater ein Börsenmakler, der seinerzeit vielleicht sogar mit ihrem eigenen Vater Geschäfte gemacht hatte, zumindest aber mit der Bank ihres Vaters, und dass die jungen Leute sich entschieden hatten zu heiraten, ›sobald wie möglich, ganz zwanglos‹, dass sie beide ihr Studium aufgeben würden, zumindest für ein, zwei Jahre, dass sie in St. Louis wohnen wollten, »ein Tapetenwechsel, ein neuer Anfang«, und dass sie, auch wenn sie das Semester nicht zu Ende machen konnten, bis zu den Semesterferien warten und am Nachmittag des ersten Ferientages heiraten wollten, einem Freitag. Und war es nicht alles ganz wunderbar, ehrlich – was auch immer.
    *
    Die Hochzeit fand im unaufgeräumten Büro eines Friedensrichters statt. William und Edith waren Trauzeugen; die Frau des Richters, eine zauselige, grauhaarige Frau mit ewigem Stirnrunzeln, machte sich während der Zeremonie in der Küche zu schaffen und kam erst gegen Ende heraus, um als Zeugin die Papiere zu unterschreiben. Es war ein kalter, trostloser Nachmittag, das Datum der 12. Dezember 1941.
    Fünf Tage vor der Heirat hatten die Japaner Pearl Harbor angegriffen, und William Stoner verfolgte die Hochzeit mit gemischten, nie zuvor empfundenen Gefühlen. Wie so viele, die jene Zeit durchlebten, fühlte er sich regelrecht betäubt, auch wenn er wusste, dass diese Empfindung sich aus tiefen, intensiven Emotionen zusammensetzte, die er sich unmöglich eingestehen konnte, da er nicht mit ihnen zu leben gewusst hätte. Er spürte die Wucht der öffentlichen Tragödie, spürte einen so durchdringenden Schrecken und Schmerz, dass persönliche Tragödien und Missgeschicke gleichsam auf eine andere Ebene gerückt und durch die ungeheuerlichen Dimensionen, in denen sie stattfanden, zugleich verstärkt wurden, so wie ein einsames Grab noch eindringlicher wirkt, wenn es mitten in einer großen Wüste liegt. Mit einem beinahe unpersönlichen Bedauern verfolgte er daher das traurige kleine Ritual der Eheschließung und war seltsam gerührt von der passiven, gleichgültigen Schönheit, die er im Gesicht seiner Tochter sah, und von der mürrischen Verzweiflung auf dem Gesicht des jungen Mannes.
    Nach der Zeremonie stiegen die beiden jungen Leute bedrückt in Fryes kleinen Sportwagen, um nach St. Louis zu fahren, wo sie leben wollten und sich einem zweiten Elternpaar zu stellen hatten. Stoner sah sie vom Haus fortfahren und konnte sich seine Tochter dabei nur als jenes kleine Mädchen vergegenwärtigen, das einmal in einem fernen Zimmer neben ihm gesessen und ihn in andächtigem Entzücken angesehen hatte,

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