Stoner: Roman (German Edition)
musste sie stützen.
»Edith!«, sagte er in scharfem Ton. »Sei still!«
Sie erstarrte und entzog sich ihm. Auf zitternden Beinen ging sie zu Grace, die sich nicht gerührt hatte.
»Du!«, fauchte sie. »O mein Gott. Oh, Gracie. Wie konntest du nur … O mein Gott. Wie dein Vater. Das Blut deines Vaters. Ja, Dreck, Abschaum …«
»Edith!«, fuhr Stoner sie noch ein wenig schärfer an, ging zu ihr, legte die Hände fest auf ihre Oberarme und wandte sie von Grace ab. »Ab ins Bad mit dir, und spritz dir etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Dann gehst du auf dein Zimmer und legst dich hin.«
»Ach, Willy«, flehte Edith. »Mein eigenes, kleines Baby. Ganz meins. Wie konnte das passieren. Wie konnte sie …«
»Nun geh«, sagte Stoner. »Ich werde gleich nach dir sehen.«
Sie taumelte aus dem Zimmer. Stoner schaute ihr nach und regte sich erst wieder, als er im Bad das Wasser laufen hörte. Dann drehte er sich zu Grace um, die ihn unverwandt aus ihrem Sessel ansah. Er lächelte kurz, ging zu Ediths Werktisch, nahm sich den Stuhl und stellte ihn vor Grace’ Sessel, damit er mit ihr reden konnte, ohne auf sie herabblicken zu müssen.
»Nun«, sagte er, »warum hast du mir nichts davon erzählt?«
Sie betrachtete ihn mit einem leisen, sanften Lächeln. »Was gibt es da viel zu erzählen?«, sagte sie. »Ich bin schwanger.«
»Bist du sicher?«
Sie nickte. »Ich war beim Arzt und weiß es erst seit heute Nachmittag.«
»Tja«, sagte er und tätschelte unbeholfen ihre Hand. »Du musst dir keine Sorgen machen. Es wird schon alles werden.«
»Ja«, sagte sie.
Behutsam fragte er: »Willst du mir verraten, wer der Vater ist?«
»Ein Student«, antwortete sie. »Von der Universität.«
»Willst du es mir lieber nicht sagen?«
»Ach was«, sagte sie. »Darauf kommt es nicht an. Er heißt Frye. Ed Frye. Ist im zweiten Semester. Ich glaube, er war letztes Jahr in deinem Grundkurs.«
»Ich kann mich nicht an ihn erinnern«, sagte Stoner. »Überhaupt nicht.«
»Tut mir leid, Vater«, sagte Grace. »Es war dumm von mir. Er war ein wenig angetrunken, und wir haben … nicht aufgepasst.«
Stoner wandte den Blick von ihr ab und sah zu Boden.
»Tut mir leid, Vater. Jetzt habe ich dich schockiert, oder?«
»Nein«, erwiderte Stoner. »Höchstens überrascht. Wir haben in den letzten Jahren nicht viel voneinander erfahren, nicht?«
Sie sah fort und antwortete beklommen: »Nun …, nein, ich glaube nicht.«
»Liebst du ihn, Grace? Diesen Jungen …«
»Ach was«, sagte sie. »Eigentlich kenne ich ihn kaum.«
Er nickte. »Und jetzt?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Aber das ist auch unwichtig. Ich will dir nicht zur Last fallen.«
Eine Zeit lang saßen sie da, ohne zu reden. Schließlich sagte Stoner: »Mach dir keine Sorgen. Es wird schon werden. Wozu du dich auch entschließt und was du auch tun willst, es wird alles gut.«
»Ja«, sagte Grace und erhob sich aus ihrem Sessel. Dann sah sie ihren Vater an. »Du und ich, wir können jetzt reden.«
»Ja«, sagte Stoner. »Wir können reden.«
Sie verließ das Atelier, und Stoner wartete, bis er hörte, wie sie oben die Schlafzimmertür zuzog. Ehe er dann auf sein eigenes Zimmer ging, huschte er noch leise nach oben und öffnete die Tür zu Ediths Schlafzimmer. Sie schlief fest und lag angezogen auf dem Bett, die Nachttischlampe leuchtete ihr grell ins Gesicht. Stoner knipste das Licht aus und ging nach unten.
Beim Frühstück am nächsten Morgen war Edith beinahe gut gelaunt. Nichts verwies auf ihren hysterischen Anfall vom Vorabend, und sie redete, als wäre die Zukunft ein hypothetisches Problem, das sich lösen ließe. Nachdem sie den Namen des Jungen erfahren hatte, verkündete sie strahlend: »Nun, also. Findest du, wir sollten mit seinen Eltern Kontakt aufnehmen? Oder wäre es besser, erst mit dem Jungen zu reden? Warte mal – jetzt ist die letzte Woche im November. Sagen wir zwei Wochen. In der Zeit könnten wir alle Vorbereitungen treffen, vielleicht sogar für eine kleine kirchliche Hochzeit. Grace, was macht dein Freund? Wie heißt er noch mal?«
»Edith«, sagte Stoner. »Warte. Du setzt viel zu viel voraus. Vielleicht wollen Grace und dieser junge Mann ja gar nicht heiraten. Lass uns mit unserer Tochter darüber reden.«
»Was gibt es da zu reden? Natürlich wollen die beiden heiraten. Schließlich sind sie … sind sie … Gracie, sag es deinem Vater. Erkläre es ihm.«
Grace sagte zu ihm gewandt: »Es ist nicht weiter wichtig, Vater. Es ist
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