Stoner: Roman (German Edition)
seine Freude fand.
Bei den Fakultätstreffen tauchten einige neue Gesichter auf, einige vertraute fehlten, und Archer Sloanes langsamer Verfall, den Stoner bereits während des Krieges bemerkt hatte, setzte sich unaufhaltsam fort. Sloanes Hände zitterten, und er begann beim Reden immer öfter den Faden zu verlieren. Der Fachbereich selbst wurde ebenso von dem Schwung getragen, den ihm die eigene Tradition verlieh, wie von seiner bloßen Existenz.
Stoner kümmerte sich um seinen Unterricht mit einer Intensität und Leidenschaft, die manch neuem Mitglied des Fachbereichs großen Respekt abnötigte, aber auch zu einiger Besorgnis unter jenen Kollegen führte, die ihn schon länger kannten. Er sah verhärmt aus, verlor an Gewicht, und der krumme Rücken krümmte sich noch stärker. Imzweiten Semester des Studienjahres erhielt er Gelegenheit, gegen Bezahlung Extrastunden zu geben, und er nahm das Angebot an; außerdem unterrichtete er in jenem Jahr an der neuen Sommerschule, ebenfalls für ein zusätzliches Gehalt. Er hegte die vage Idee, Geld für eine Reise nach Europa zu sparen, damit er Edith zeigen konnte, worauf sie seinetwegen verzichtet hatte.
Als er im Sommer des Jahres 1921 nach einem Verweis auf ein lateinisches Gedicht suchte, das er vergessen hatte, nahm er zum ersten Mal wieder seine drei Jahre zuvor eingereichte Dissertation zur Hand und las darin. Da sie seinem Urteil standhielt, überlegte er, den Text zu redigieren und als Buch herauszubringen, auch wenn er sich ein wenig vor der eigenen Vermessenheit fürchtete. Und obwohl er diesen Sommer wieder durchgehend unterrichtete, las er noch einmal alle sachbezogenen Quellen und begann anschließend, seine Forschungen auszudehnen. Ende Januar entschied er, dass ein Buch durchaus möglich sei; zu Beginn des Frühjahrs war er so weit, dass er sich die ersten Seiten zu schreiben traute.
Es geschah im Frühling desselben Jahres, dass Edith ihm ruhig, beinahe gleichgültig erzählte, sie habe sich entschieden, sie wolle ein Kind.
*
Der Entschluss kam plötzlich und ohne erkennbaren Auslöser, weshalb Edith, als sie eines Morgens beim Frühstück, nur wenige Minuten ehe William zum ersten Unterricht musste, ihre Ankündigung machte, selbst ein wenig überrascht zu sein schien, beinahe, als hätte sie gerade eine Entdeckung gemacht.
»Was?«, fragte William. »Was hast du gesagt?«
»Ich will ein Baby«, sagte Edith. »Ich glaube, ich will ein Baby.«
Sie knabberte an einem Stück Toast, wischte sich die Lippen mit einem Zipfel ihrer Serviette ab und lächelte starr.
»Findest du nicht, dass wir eines haben sollten?«, fragte sie. »Wir sind jetzt schon fast drei Jahre verheiratet.«
»Natürlich«, erwiderte William und stellte äußerst behutsam die Tasse auf dem Unterteller ab. Er sah sie nicht an. »Bist du dir sicher? Wir haben nie darüber geredet. Ich möchte nur nicht, dass du …«
»O ja«, sagte sie. »Ich bin mir sehr sicher. Ich finde, wir sollten ein Kind haben.«
William schaute auf die Uhr. »Ich bin spät dran. Schade, dass wir nicht mehr Zeit zum Reden haben. Ich möchte, dass du dir wirklich ganz sicher bist.«
Zwischen ihren Augen zeigte sich eine kleine Falte. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mir sicher bin. Willst du etwa kein Kind? Warum fragst du immer weiter? Ich will nicht mehr darüber reden.«
»Na gut.« Einen Moment blieb William noch sitzen, schaute sie an und sagte schließlich: »Ich muss los.« Doch er rührte sich nicht. Dann legte er unbeholfen eine Hand über ihre auf dem Tischtuch ruhenden langen Finger, die er hielt, bis sie ihre Hand fortzog. Er stand auf, bewegte sich fast schüchtern um sie herum und sammelte seine Bücher und Papiere ein. Wie stets kam Edith ins Wohnzimmer, um zu warten, bis er ging. Er küsste sie auf die Wange – etwas, was er schon lange nicht mehr getan hatte.
An der Tür drehte er sich um und sagte: »Es … es freut mich, dass du ein Kind willst, Edith. Ich weiß, unsere Eheist in mancher Hinsicht eine Enttäuschung für dich, aber ich hoffe, ein Kind wird etwas zwischen uns ändern.«
»Ja«, sagte Edith. »Du kommst zu spät zum Unterricht. Beeil dich lieber.«
Nachdem er gegangen war, blieb Edith noch eine Weile mitten im Zimmer stehen und starrte auf die geschlossene Tür, als versuchte sie, sich an etwas zu erinnern. Dann durchquerte sie ruhelos den Raum, ging von Zimmer zu Zimmer und bewegte sich in ihren Kleidern, als ertrüge sie den Stoff nicht länger, der raschelnd
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