Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
Vom Netzwerk:
verstummte, kniff die Augen zusammen und betrachtete nachdenklich, aber auch distanziert das Automobil, als wäre es die Zukunft.
    Dann wurde er wieder lebhaft und fröhlich. Mit gespieltem Ernst legte er einen Zeigefinger an die Lippen, sah sichverstohlen um und griff sich eine große braune Papiertüte vom Vordersitz. »Fusel«, flüsterte er. »Direkt vom Schiff. Gib mir Feuerschutz, Kumpel, vielleicht schaffen wir es bis zum Haus.«
    Das Abendessen verlief problemlos. Finch war umgänglicher, als Stoner ihn in Jahren erlebt hatte. Er musste an jenen fernen Freitagnachmittag denken, an dem er selbst, Finch und Dave Masters nach dem Seminar noch zusammengesessen, Bier getrunken und sich unterhalten hatten. Caroline, die Verlobte, redete nur wenig; meist lächelte sie zufrieden, während Finch Witze riss und ihr zublinzelte. Für Stoner war es fast ein Schock, als ihm voller Neid aufging, dass Finch diese hübsche dunkelhaarige Frau wirklich gern hatte und dass sie nur aus lauter Zuneigung für ihren Verlobten schwieg.
    Sogar Edith verlor ein wenig ihre Zurückhaltung und Angespanntheit, lächelte oft, und ihr Lachen kam spontan. Stoner begriff, dass Finch mit Edith auf eine vertraute, spielerische Weise umging, die ihm, ihrem eigenen Mann, nie gelingen würde, und Edith wirkte so glücklich wie seit Monaten nicht mehr.
    Nach dem Essen streifte Finch die braune Tüte von der Kühlbox, in die er zuvor den Alkohol gestellt hatte, und förderte eine Reihe dunkelbrauner Flaschen zutage. Es war selbst gebrautes Bier, das er unter äußerster Geheimhaltung und großem Brimborium im Schrank seiner Junggesellenwohnung hergestellt hatte.
    »Kein Platz mehr für meine Kleider«, sagte er, »aber schließlich muss man Prioritäten setzen.«
    Mit auf blasser Haut schimmerndem Licht, schütter werdendem blondem Haar und zusammengekniffenen Augengoss er, vorsichtig wie ein Apotheker, der eine seltene Substanz austeilt, das Bier in die Gläser.
    »Muss aufpassen mit dem Zeugs«, erklärte er. »Am Boden sammeln sich jede Menge Ablagerungen, und die kommen ins Glas, wenn man zu schnell schüttet.«
    Sie tranken jeder ein Bier und gratulierten Finch zu dem gelungenen Getränk. Es war tatsächlich überraschend gut, herb, leicht und von kräftiger Farbe. Sogar Edith trank aus und nahm noch ein zweites Glas.
    Sie waren ein bisschen betrunken, lachten grundlos, wurden sentimental und sahen sich mit neuen Augen.
    Stoner hielt sein Glas ans Licht und sagte: »Ich frage mich, wie Dave dieses Bier gefallen hätte.«
    »Dave?«, fragte Finch.
    »Dave Masters. Weißt du noch, wie gern er Bier getrunken hat?«
    »Dave Masters«, erinnerte sich Finch. »Der gute alte Dave. Eine verdammte Schande.«
    »Masters?«, fragte Edith und lächelte verschwommen. »War das nicht euer Freund, der im Krieg getötet wurde?«
    »Ja«, erwiderte Stoner. »Genau der.« Die alte Traurigkeit überkam ihn, doch erwiderte er Ediths Lächeln.
    »Der gute alte Dave«, wiederholte Finch. »Weißt du, Edith, dein Mann, Dave und ich, wir haben uns oft ordentlich einen hinter die Binde gekippt – natürlich lange ehe er dich kannte. Der gute, alte Dave.«
    Sie lächelten bei der Erinnerung an David Masters.
    »War er ein guter Freund?«, fragte Edith.
    Stoner nickte. »Das war er.«
    »Château-Thierry.« Finch trank aus. »Krieg ist die Hölle.« Er schüttelte den Kopf. »Aber der alte Dave, der lacht bestimmtgerade irgendwo über uns. Leid täte er sich jedenfalls nicht. Ich frage mich, ob er überhaupt was von Frankreich gesehen hat.«
    »Weiß nicht«, antwortete Stoner. »Er wurde schon bald nach der Ankunft getötet.«
    »Wäre eine Schande, wenn nicht. Ich habe immer geglaubt, etwas von Europa zu sehen, war für ihn einer der wichtigsten Gründe, sich freiwillig zu melden.«
    »Europa«, wiederholte Edith undeutlich.
    »Tja«, sagte Finch. »Viele Wünsche hatte er nicht, der alte Dave, aber Europa wollte er vor seinem Tod unbedingt sehen.«
    »Ich wollte auch mal nach Europa«, sagte Edith. Sie lächelte, und ihre Augen schimmerten hilflos. »Weißt du noch, Willy? Kurz vor unserer Hochzeit wollte ich mit Tante Emma hinfahren. Erinnerst du dich?«
    »Ich erinnere mich.«
    Edith lachte unangenehm und schüttelte wie verwirrt den Kopf. »Scheint mir schon so lang vorbei zu sein, ist es aber gar nicht. Wie lang ist das jetzt her, Willy?«
    »Edith …«, sagte Stoner.
    »Warte mal, im April wollten wir fahren. Und dann ein Jahr. Jetzt haben wir Mai. Ich wäre

Weitere Kostenlose Bücher