Stoner: Roman (German Edition)
stand eine Weile einfach nur in dem kargen Raum. Seine Augen waren heiß und trocken; er konnte nicht weinen.
Er traf die nötigen Anordnungen für die Beerdigung und unterschrieb die Papiere, die unterschrieben werden mussten. Wie alle Leute auf dem Land besaßen auch seine Eltern eine Sterbeversicherung, für die sie selbst in den bittersten Zeiten jede Woche einige Pennys beiseitegelegt hatten. Sie machte einen armseligen Eindruck, diese Police, die seine Mutter aus einer alten Truhe im Schlafgemach holte; das Blattgold der verschnörkelten Schrift zerbröselt, das billige Papier altersbrüchig. William Stoner redete mit seiner Mutter über die Zukunft; er wollte, dass sie mit ihm nach Columbia zurückkehre. Es gebe genügend Platz, sagte er, und Edith (innerlich wand er sich bei dieser Lüge) würde sich über ihre Gesellschaft freuen.
Doch seine Mutter wollte nicht mitkommen. »Das käme mir nicht richtig vor«, sagte sie. »Dein Pa und ich – wir haben hier fast mein ganzes Leben gelebt. Ich glaube nicht, dass ich noch woanders hinziehen und mich da wohlfühlen könnte. Und außerdem hat Tobe …«, Stoner fiel ein, dass der schwarze Landarbeiter, den sein Vater vor vielen Jahren eingestellt hatte, Tobe hieß, »… hat Tobe gesagt, er würde so langebleiben, wie ich ihn brauchen kann. Er hat sich ein nettes Zimmer im Keller eingerichtet. Wir kommen schon zurecht.«
Stoner stritt mit ihr, aber sie rückte von ihrem Standpunkt nicht ab. Schließlich sah er ein, dass sie nur noch sterben wollte, und zwar da, wo sie auch gelebt hatte. Und er wusste, sie verdiente jenes bisschen Würde, das sie darin fand, genau das zu tun, was sie tun wollte.
Sie begruben seinen Vater auf einem kleinen Friedhof am Stadtrand von Booneville, danach fuhr William mit seiner Mutter zurück zur Farm. In jener Nacht konnte er nicht schlafen. Er zog sich an und ging hinaus aufs Feld, das von seinem Vater jahrein, jahraus bis zu ebenjenem Ende, das er nun gefunden hatte, beackert worden war. Stoner versuchte, sich an seinen Vater zu erinnern, doch konnte er das Gesicht, das er in seiner Jugend so gut gekannt hatte, kaum mehr heraufbeschwören. Er kniete auf dem Feld nieder, nahm einen trockenen Erdklumpen in die Hand, zerbröselte ihn und musterte im Mondlicht die dunklen Brocken, zerdrückte sie und ließ die Krumen durch seine Finger rieseln. Dann wischte er sich die Hand am Hosenbein ab, stand auf und ging zurück zum Haus.
Er schlief nicht; er lag auf dem Bett und blickte aus dem einzigen Fenster, bis die Dämmerung anbrach, bis keine Schatten mehr auf dem Land lagen, bis es sich grau, ausgelaugt und schier unendlich vor ihm ausdehnte.
Nach dem Tod seines Vaters fuhr Stoner so oft wie nur möglich übers Wochenende zur Farm; und jedes Mal, wenn er seine Mutter sah, war sie dünner, blasser und stiller geworden, bis allein ihre eingesunkenen, glänzenden Augen noch am Leben zu sein schienen. Während ihrer letzten Tage sprach sie kein Wort mit ihm; nur ihre Augen flackertennoch schwach, wenn sie aus dem Bett zu ihm aufsah; und manchmal entwich ihren Lippen ein leiser Seufzer.
Er begrub sie neben ihrem Mann. Als nach der Andacht die wenigen Trauergäste gegangen waren, stand er allein im kalten Novemberwind und blickte auf die beiden Gräber, eines noch geöffnet, das andere ein mit dünnem Rasenpelz bedeckter Hügel. Er drehte sich um auf dem kleinen, kahlen, baumlosen Friedhof, auf dem Leute wie sein Vater und seine Mutter begraben lagen, und blickte über das flache Land zur Farm, auf der er geboren worden war und auf der seine Eltern ihre Leben verbracht hatten. Er dachte daran, was ihnen Jahr um Jahr die Erde abverlangt hatte, die doch blieb, wie sie gewesen war – nur vielleicht ein wenig karger, ein wenig ärmer. Nichts hatte sich geändert. Ihr Leben war in freudloser Arbeit verausgabt, ihr Wille gebrochen, ihr Verstand betäubt worden. Jetzt lagen sie in der Erde, der sie alles gegeben hatten, und langsam, Jahr um Jahr, würde die Erde sie sich holen. Feuchtigkeit und Fäulnis würden sich über die Kiefernkisten hermachen, in denen ihre toten Körper lagen, würden langsam auch auf ihr Fleisch übergreifen, bis schließlich auch die letzten Spuren ihrer Existenz vernichtet waren. Dann würden sie ein bedeutungsloser Teil der widerspenstigen Erde geworden sein, der sie sich schon vor langer Zeit verschrieben hatten.
Er ließ Tobe den Winter über auf der Farm wohnen und bot sie im Frühjahr 1928 zum Verkauf an. Mit
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