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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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Tobe hatte er vereinbart, dass er bis zum Verkauf bleiben und behalten durfte, was er erntete. Tobe richtete die Farm so gut her, wie er nur konnte, reparierte das Haus und strich die kleine Scheune. Dennoch fand Stoner keinen geeigneten Käufer vor dem Frühjahr 1929. Er nahm das erste Angebot an, dasman ihm machte, ein wenig über zweitausend Dollar, gab Tobe davon ein paar hundert Dollar ab und schickte den Rest Ende August seinem Schwiegervater, um die Summe zu mindern, die er ihm noch für das Haus in Columbia schuldete.
    *
    Im Oktober des Jahres brach der Aktienmarkt zusammen, und in den regionalen Zeitungen standen Geschichten über die Wall Street, über Vermögen, die verloren gingen, und über dramatische Veränderungen im Leben berühmter Menschen. In Columbia waren davon nur wenige Leute betroffen; in dieser konservativen Stadt besaß kaum jemand Aktien oder Wertpapiere. Doch verbreiteten sich Neuigkeiten über Banken, die überall im Land vor dem Bankrott standen, und bei einigen Stadtbewohnern regten sich erste Unsicherheiten; einige Bauern hoben ihre Ersparnisse ab, andere erhöhten (von den örtlichen Bankangestellten ermuntert) ihre Einlagen. Niemand aber machte sich ernsthaft Sorgen, bis sich die Kunde vom Zusammenbruch einer kleinen Privatbank herumsprach, der Merchant’s Trust in St. Louis.
    Stoner aß in der Cafeteria der Universität zu Mittag, als er davon hörte, und eilte gleich nach Hause, um Edith davon zu erzählen. Merchant’s Trust war jene Bank, bei der sie die Hypothek auf ihr Haus aufgenommen hatten und deren Präsident Ediths Vater war. Noch am selben Nachmittag rief Edith in St. Louis an und redete mit ihrer Mutter, die fröhlich verkündete, Mr Bostwick habe ihr versichert, es gebe keinen Grund zur Sorge und in wenigen Wochen sei alles wieder in bester Ordnung.
    Drei Tage später war Horace Bostwick tot, Selbstmord. Er hatte morgens in ungewöhnlich guter Laune die Bank betreten und dabei mehrere Angestellte begrüßt, die noch hinter den geschlossenen Türen der Bank arbeiteten, war in sein Büro gegangen, nachdem er seiner Sekretärin mitgeteilt hatte, dass er keine Anrufe entgegennehmen würde, um dann die Tür hinter sich zuzuziehen. Gegen zehn Uhr vormittags schoss er sich schließlich mit einem tags zuvor gekauften und in der Aktentasche in die Bank gebrachten Revolver in den Kopf. Er hinterließ kein Schreiben, doch verrieten die sorgsam auf dem Tisch angeordneten Papiere, was er zu sagen hatte. Und sie verrieten, dass er finanziell schlechterdings ruiniert war. Wie sein Bostoner Vater hatte er unklug investiert, allerdings nicht nur eigenes Geld, sondern auch das der Bank. Sein Bankrott war so umfassend, dass er keinen anderen Ausweg sah. Erst später stellte sich heraus, dass sein Ruin keineswegs so vollständig gewesen war, wie er es im Augenblick seines Selbstmords geglaubt hatte. Laut Nachlassregelung blieb der Familie das Wohnhaus, und ein kleineres Grundstück am Stadtrand von St. Louis reichte aus, um seine Frau für den Rest ihres Lebens mit einem minimalen Einkommen zu versorgen.
    Allerdings wurde dies nicht gleich bekannt. William Stoner erhielt einen Anruf, der ihn über Horace Bostwicks Bankrott und Selbstmord informierte, und er brachte Edith die Neuigkeit so schonend bei, wie es ihm sein entfremdetes Verhältnis zu ihr nur erlaubte.
    Edith trug es mit Fassung, beinahe, als hätte sie damit gerechnet. Mehrere Augenblicke schaute sie Stoner an, ohne etwas zu sagen, dann schüttelte sie den Kopf und meinte nachdenklich: »Arme Mutter. Was soll sie nun tun? Es hatimmer jemanden gegeben, der sich um sie kümmert. Wie wird sie jetzt leben?«
    Stoner antwortete: »Sag ihr …« Verlegen brach er ab. »… sag ihr, wenn sie mag, kann sie bei uns wohnen. Sie ist hier willkommen.«
    Mit einer eigenartigen Mischung aus Zuneigung und Verachtung lächelte Edith ihn an. »Ach, Willy, sie würde lieber sterben. Das weißt du doch, nicht?«
    Stoner nickte. »Ich glaube schon«, sagte er.
    Und so verließ Edith Columbia am Abend des Tages, an dem Stoner besagten Telefonanruf erhalten hatte, um zur Beerdigung nach St. Louis zu fahren und dort so lange zu bleiben, wie sie gebraucht wurde. Als sie eine Woche fort war, erhielt Stoner eine kurze Notiz, die ihn informierte, dass sie weitere zwei Wochen bei ihrer Mutter bleiben werde, vielleicht noch länger. Sie blieb fast zwei Monate, und William lebte allein mit seiner Tochter in dem großen Haus.
    In den ersten Tagen empfand er

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