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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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es … es tut mir leid. Das war wirklich höchst unfair, und ich fühle mich irgendwie verantwortlich. Vielleicht hätte ich ihm ins Wort fallen sollen.«
    Sie erwiderte nichts, auch blieb ihre Miene so unbeweglich wie zuvor; und sie blickte zu ihm auf, wie sie quer durchs Kellerzimmer zu Walker hinübergesehen hatte.
    »Jedenfalls«, fuhr er nun noch verlegener fort, »tut es mir leid, dass er Sie so angegriffen hat.«
    Und da lächelte sie. Es war ein Lächeln, das in den Augenwinkeln langsam begann und dann an ihren Lippen zupfte, bis ein strahlendes, warmes, überaus anheimelndes Entzücken ihr ganzes Gesicht erhellte. Stoner wäre vor dieser plötzlichen, unwillkürlichen Vertrautheit fast zurückgewichen.
    »Ach, um mich ging es doch nicht«, sagte sie, und ein leises Zittern unterdrückten Lachens verlieh ihrer tiefen Stimme ein leichtes Timbre. »Um mich ging es überhaupt nicht. Sie hat er angegriffen. Ich hatte damit kaum etwas zu tun.«
    Stoner fühlte sich wie von einer Last befreit, einer Last des Bedauerns und der Sorge, von der er kaum gewusst hatte,dass er sie trug; die Erleichterung war geradezu körperlich spürbar, und er fühlte sich leicht, fast ein wenig schwindlig. Er lachte.
    »Natürlich«, sagte er. »Natürlich, das stimmt.«
    Ihr Lächeln versiegte, und sie blickte ihn noch einen Moment ernst an. Dann nickte sie, wandte sich ab und ging rasch den Flur hinunter. Sie war schlank, hielt sich gerade und wirkte unaufdringlich. Noch mehrere Sekunden, nachdem sie verschwunden war, stand Stoner da und sah den Flur entlang. Dann seufzte er und ging zurück in den Raum, in dem Walker auf ihn wartete.
    Walker hatte sich nicht gerührt und schaute Stoner nun lächelnd entgegen, seine Miene eine seltsame Mischung aus Unterwürfigkeit und Arroganz. Stoner setzte sich wieder auf den Stuhl, von dem er wenige Minuten zuvor aufgestanden war, und musterte Walker neugierig.
    »Nun, Sir?«, fragte Walker.
    »Können Sie mir dafür eine Erklärung geben?«, fragte Stoner leise zurück.
    Überraschung spiegelte sich auf Walkers rundem Gesicht. »Was meinen Sie, Sir?«
    »Bitte, Mr Walker«, sagte Stoner matt. »Es war ein langer Tag, und wir sind beide müde. Haben Sie eine Erklärung für Ihren heutigen Auftritt?«
    »Ich kann Ihnen versichern, dass ich keinen Anstoß erregen wollte.« Er nahm die Brille ab und putzte sie mit schnellen Bewegungen; wieder verblüffte Stoner die nackte Empfindlichkeit seines Gesichtes. »Ich habe doch gesagt, dass meine Bemerkungen nicht persönlich gemeint waren. Falls also Gefühle verletzt wurden, bin ich nur zu gern bereit, der jungen Dame …«
    »Mr Walker«, unterbrach ihn Stoner. »Sie wissen genau, dass es nicht darum geht.«
    »Hat sich die junge Dame bei Ihnen beschwert?«, fragte Walker und setzte sich mit zitternden Fingern die Brille wieder auf, wodurch es ihm gelang, das Gesicht in verärgerte Falten zu legen. »Also ehrlich, Sir, die Klagen einer Studentin, deren Gefühle verletzt wurden, sollten doch nicht …«
    »Mr Walker!« Stoner hörte, wie er ein wenig die Beherrschung über seine Stimme verlor, weshalb er tief Luft holte. »Dies hat nichts mit der jungen Dame, mit mir selbst oder mit irgendetwas anderem außer Ihrem Vortrag zu tun. Und ich warte immer noch darauf, dass Sie mir dafür eine Erklärung liefern.«
    »Dann fürchte ich, dass ich Sie nicht verstehe, Sir. Es sei denn …«
    »Es sei denn, was, Mr Walker?«
    »Es sei denn, es handelt sich schlichtweg darum, dass wir unterschiedlicher Ansicht sind«, sagte Walker. »Mir ist klar, dass meine Auffassungen nicht mit Ihren übereinstimmen, doch hatte ich bislang stets angenommen, dass Meinungsunterschiede eher förderlich sind. Außerdem hatte ich geglaubt, Sie seien großmütig genug …«
    »Ich lasse nicht zu, dass Sie dem Thema noch länger ausweichen«, sagte Stoner mit kalter, fester Stimme. »Also, wie lautete das Ihnen zugewiesene Seminarthema?«
    »Sie sind wütend«, antwortete Walker.
    »Ja, ich bin wütend. Wie lautete das Ihnen zugewiesene Seminarthema?«
    Steif und förmlich antwortete Walker: »Mein Thema lautete ›Hellenismus und die mittelalterliche Lateintradition‹, Sir.«
    »Und wann haben Sie Ihren Vortrag fertiggestellt, Mr Walker?«
    »Vor zwei Tagen. Wie ich Ihnen schon erklärt habe, war er bereits vor zwei Wochen fast fertig, doch ein über Fernleihe bestelltes Buch ist erst …«
    »Mr Walker, wenn Ihr Vortrag schon vor zwei Wochen fast fertig war, wie kann er sich dann in

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