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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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ihn so hochmütig musterte, als wäre er ein Professor, der einen störenden Erstsemestler zurechtwies. Gleich darauf aber fiel Walkers Miene in sich zusammen, und er sagte: »Wir wollten gerade ohne Sie anfangen …« In letzter Sekunde verstummte er, setzte ein Lächeln auf, nickte und fügte, um Stoner zu verstehen zu geben, dass dies als Scherz gemeint sei, ein »Sir« hinzu.
    Stoner schaute ihn kurz an, um sich darauf ans Seminar zu wenden. »Entschuldigen Sie bitte meine Verspätung. Wie Sie wissen, wird Mr Walker heute seinen Vortrag über ›Hellenismus und die mittelalterliche Lateintradition‹ halten.« Nach diesen Worten fand er einen freien Platz in der ersten Reihe, gleich neben Katherine Driscoll.
    Charles Walker kämpfte einen Moment lang mit dem Stapel Papiere auf dem Tisch, während er zuließ, dass sich auf seinem Gesicht wieder eine abwesende Miene breitmachte. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand tippte er dann auf das Manuskript und schaute in die Stoner und Katherine Driscoll gegenüberliegende Zimmerecke, als würde er auf etwas warten, ehe er schließlich – mit einem gelegentlichen Blick auf den Stapel Papier auf seinem Tisch – begann.
    »In Anbetracht des Mysteriums der Literatur und ihrer unbeschreiblichen Macht obliegt es uns, den Quell dieser Macht und dieses Mysteriums zu erforschen. Und doch, was vermag uns dies letztlich zu nützen? Das Werk der Literatur lässt einen Schleier vor uns herab, den wir nicht durchdringen können, denn vor ihm sind wir nur demütige Verehrer, hilflos dem Spiel seiner wogenden Falten ausgeliefert. Wer besäße die Tollkühnheit, den Schleier beiseiteziehen zu wollen, um das Unerforschbare zu erforschen, das Unerreichbare zu erreichen? Vor diesem ewigen Geheimnis sind auch die Stärksten unter uns nur matte Schwächlinge, nichts als klirrende Zimbeln und lauter Trompetenschall.«
    Die Stimme hob und senkte sich, die rechte Hand wurde ausgestreckt, die Finger flehentlich aufwärts gekrümmt, und der ganze Körper schwankte im Rhythmus der Worte; die Augen waren leicht nach oben gerollt, als trüge Walker eine Fürbitte vor. Was er sagte und tat, wirkte auf groteske Weise vertraut, und plötzlich wusste Stoner, was es war. Das hier war Hollis Lomax – oder vielmehr eine unbeholfene Karikatur, die dem Karikaturisten selbst unbewusst unterlief, eine Geste nicht der Verachtung, der Ablehnung, sondern des Respekts und der Bewunderung.
    Walkers Stimme sank auf Gesprächsniveau, und er sprach zur hinteren Zimmerwand in einem stillen, vernunftbestimmten Ton. »Vor kurzem haben wir einen Vortrag gehört, der im akademischen Sinne gewiss als höchst bemerkenswert gelten darf. Die nun folgenden Anmerkungen sind nicht persönlich gemeint. Dies möchte ich betonen. Im Verlauf des erwähnten Vortrags haben wir einen Bericht vernommen, in dem behauptet wird, eine Erklärung für das Mysterium und die erhebende Lyrik der shakespeareschen Kunst gefundenzu haben. Nun, ich kann Ihnen sagen« – er streckte dem Publikum den Zeigefinger hin, als wollte er es aufspießen –, »ich kann Ihnen sagen, das ist falsch.« Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und warf einen Blick in die Papiere. »Man bat uns zu glauben, ein gewisser Donatus – ein obskurer römischer Grammatiker des 4. Jahrhunderts vor Christus –, man bat uns also zu glauben, dass dieser Mann genügend Einfluss besessen habe, die Arbeit eines der größten Genies in der gesamten Literaturgeschichte prägen zu können. Sollten wir dieser Theorie nicht gleich auf Anhieb misstrauen? Müssen wir ihr nicht sogar misstrauen?«
    Ärger stieg in Stoner auf, schlichter, dumpfer Ärger, der die Komplexität der Gefühle verdrängte, die er noch zu Beginn des Vortrags gehegt hatte. Am liebsten wäre er sofort aufgestanden, um der sich entwickelnden Farce Einhalt zu gebieten; er wusste, wenn er Walker nicht gleich das Wort verbot, würde er ihn reden lassen müssen, solange es ihm beliebte. Er wandte ein wenig den Kopf, um Katherine Driscolls Gesicht sehen zu können, doch wirkte sie ernst und ungerührt, und nur ein höfliches, distanziertes Interesse war ihr anzumerken; ihre dunklen Augen betrachteten Walker mit einer Ungerührtheit, die schon fast an Langeweile grenzte. Verstohlen beobachtete Stoner sie noch einige Augenblicke und ertappte sich dabei, dass er sich fragte, was sie wohl empfand und ob es etwas gab, dass er ihrer Meinung nach tun sollte. Als er dann endlich den Blick von ihr abwandte, musste er einsehen,

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