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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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Gänze auf Miss Driscolls Arbeit beziehen, die Ihren Vortrag erst letzte Woche gehalten hat?«
    »In der Annahme, dass dies gestattet sei, habe ich in letzter Minute eine Reihe von Änderungen angebracht.« Seine Stimme triefte vor Ironie. »Und hier und da bin ich vom Text abgewichen, da mir aufgefallen ist, dass andere Studenten es ebenso gehandhabt haben, weshalb ich glaubte, dieses Privileg stünde mir gleichfalls zu.«
    Stoner unterdrückte ein fast hysterisches Verlangen, laut aufzulachen. »Wollen Sie mir bitte erklären, Mr Walker, was Ihre gegen Miss Driscoll gerichtete Attacke mit dem Fortwirken des Hellenismus in der mittelalterlichen Lateintradition zu tun hat?«
    »Ich habe mich meinem Thema auf Umwegen genähert, Sir«, erklärte Walker, »da ich annahm, uns sei eine gewisse Freiheit in der Entwicklung unserer Konzepte gestattet.«
    Stoner schwieg einen Moment, dann sagte er müde: »Mr Walker, es widerstrebt mir, einen Studenten höheren Semesters durchfallen zu lassen. Und es widerstrebt mir besonders, jemanden durchfallen zu lassen, der sich offensichtlich übernommen hat.«
    »Sir!«, rief Walker entrüstet.
    »Doch Sie machen es mir sehr schwer, dies nicht zu tun. Nun, mir scheint, es bleiben uns nur wenige Alternativen.Ich kann Ihnen für diesen Kurs ein vorläufiges Ungenügend geben, das ich zurücknehmen werde, wenn Sie mir innerhalb der nächsten drei Wochen eine zufriedenstellende Arbeit über das Ihnen zugewiesene Thema vorlegen.«
    »Aber, Sir«, sagte Walker, »ich habe meinen Vortrag bereits gehalten. Wenn ich einwillige, eine neue Arbeit zu schreiben, dann würde ich doch zugeben …«
    »Richtig«, erwiderte Stoner. »Wenn Sie mir allerdings das Manuskript geben, von dem Sie an diesem Nachmittag so … deutlich abgewichen sind, werde ich sehen, was sich noch retten lässt.«
    »Sir!«, rief Walker. »Da es sich noch um eine Rohfassung handelt, würde ich meine Aufzeichnungen wirklich nur sehr ungern hergeben.«
    Mit grimmigem, rastlosem Schamgefühl fuhr Stoner fort: »Das ist nicht weiter schlimm. Ich werde darin gewiss finden, was ich wissen muss.«
    Walker warf ihm einen verschlagenen Blick zu. »Haben Sie denn sonst jemanden gebeten, Ihnen das Manuskript zu geben?«
    »Das habe ich nicht«, erwiderte Stoner.
    »Dann«, entfuhr es Walker triumphierend, beinahe freudestrahlend, »muss ich mich schon aus Prinzip weigern, Ihnen meine Aufzeichnungen zu überlassen, es sei denn, Sie verlangen auch von allen anderen Studenten, dass sie ihre Manuskripte aushändigen.«
    Stoner blickte ihn einen Moment lang unverwandt an. »Also schön, Mr Walker. Sie haben Ihre Entscheidung getroffen. Das wäre dann vorläufig alles.«
    »Wie habe ich das zu verstehen, Sir?«, fragte Walker. »Mit welcher Zensur darf ich für diesen Kurs rechnen?«
    Stoner lachte kurz auf. »Sie erstaunen mich, Mr Walker. Sie erhalten natürlich ein Ungenügend.«
    Walker versuchte, sein rundes Gesicht in die Länge zu ziehen, und sagte mit der geduldigen Verbitterung eines Märtyrers: »Ich verstehe. Nun gut, Sir. Man muss auch bereit sein, für seine Überzeugungen zu leiden.«
    »Und für seine Faulheit, Unehrlichkeit und Ignoranz«, erwiderte Stoner. »Es scheint mir höchst überflüssig, dies noch zu erwähnen, Mr Walker, aber ich kann Ihnen nur dringend raten, Ihre Einstellungen zu überdenken, da ich ernsthaft bezweifle, dass es für Sie einen Platz in einem Doktorandenstudium gibt.«
    Zum ersten Mal wirkten Walkers Gefühle echt; seine Wut verlieh ihm fast so etwas wie Würde. »Sie gehen zu weit, Mr Stoner! Das können Sie nicht ernst meinen.«
    »Das meine ich ganz bestimmt ernst«, erwiderte Stoner.
    Einen Moment blieb Walker still und sah Stoner nachdenklich an. Dann sagte er: »Ich war bereit, mich mit der Zensur abzufinden, die Sie mir geben wollten, aber Sie müssen einsehen, dass mir dies nun unmöglich ist, da Sie meine Kompetenz grundsätzlich infrage stellen.«
    »Ja, Mr Walker«, sagte Stoner müde und erhob sich von seinem Stuhl. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen …« Er ging Richtung Tür.
    Der Klang seines laut gerufenen Namens ließ ihn innehalten. Er wandte sich um; Walkers Gesicht war dunkelrot angelaufen, die Haut aufgequollen, sodass die Augen hinter den dicken Brillengläsern wie winzige Punkte aussahen. »Mr Stoner!«, schrie er erneut. »In dieser Sache wurde noch nicht das letzte Wort gesprochen. Glauben Sie mir, Sie hören noch von mir.«
    Stoner musterte ihn gelassen und

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