Stoner: Roman (German Edition)
Prüfer diesmal vom Fachbereichsleiter bestimmt.
Der Kampf war verloren und Stoner bereit, seine Niederlage einzugestehen, nur fand das Kämpfen kein Ende. Begegnete er Lomax auf den Fluren, bei einem Fakultätstreffen oder einer Collegeveranstaltung, redete er mit ihm, als wäre nichts geschehen. Lomax aber erwiderte nicht einmal seinen Gruß, starrte eisig vor sich hin oder wandte den Blick ab, als wollte er sagen, dass er sich nicht so leicht zufriedengebe.
Im Spätherbst ging Stoner eines Tages in Lomax’ Büro und blieb mehrere Minuten vor seinem Schreibtisch stehen, bis Lomax widerstrebend zu ihm aufsah, die Lippen zusammengepresst, der Blick verschlossen.
Als er merkte, dass Lomax den Mund nicht aufmachen würde, begann Stoner stockend zu sprechen: »Hör mal, Holly, es ist aus und vorbei. Können wir die Sache nicht einfach vergessen?«
Lomax starrte ihn unverwandt an.
Stoner fuhr fort: »Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit, aber das ist schließlich nichts Ungewöhnliches. Wir waren doch vorher Freunde, und ich wüsste nicht …«
»Wir sind nie Freunde gewesen«, fiel ihm Lomax entschieden ins Wort.
»Na schön«, sagte Stoner, »aber zumindest sind wir miteinander ausgekommen. Von mir aus können wir unsere Meinungsverschiedenheit ja auch beibehalten, aber deshalb müssen wir sie uns doch um Gottes willen nicht gleich derart anmerken lassen. Selbst den Studenten fällt das auf.«
»Das sollte es auch«, erwiderte Lomax verbittert, »schließlich wäre einem aus ihrer Mitte beinahe der weitere Lebensweg verbaut worden. Ein brillanter Student, dessen einziges Verschulden seine überbordende Fantasie war, seine Begeisterung und eine Integrität, die ihn in einen Konflikt mit seinem Professor brachte, und – ja, das sollte ich hinzufügen – ein leidiges körperliches Gebrechen, das in jedem normalen Menschen Mitgefühl geweckt hätte.« In seiner gesunden Hand hielt Lomax zitternd einen Bleistift, und fast mit Entsetzen begriff Stoner, dass es Lomax auf so schreckliche wie unabänderliche Weise ernst meinte. »Nein«, fuhr Lomax leidenschaftlich fort, »das kann ich Ihnen nicht vergeben.«
Stoner gab sich Mühe, in nicht allzu steifem Ton zu antworten. »Es geht hier nicht um Vergebung, sondern schlichtweg darum, wie wir uns so zueinander verhalten, dass es fürdie Studenten und die übrigen Fachbereichsmitglieder nicht allzu unangenehm ist.«
»Ich will ganz offen zu Ihnen sein, Stoner«, sagte Lomax. Er hatte seinen Ärger nun im Griff und klang ruhig, beinahe sachlich. »Ich denke nicht, dass Sie unterrichten sollten, niemand sollte das, dessen Vorurteile stärker als Begabung und Bildung sind. Hätte ich die nötige Macht, würde ich Sie vermutlich feuern, aber diese Macht habe ich nicht, wie wir beide wissen. Wir werden … Sie werden von Ihrem Anstellungsvertrag geschützt. Damit muss ich mich abfinden, aber deswegen muss ich mich nicht zum Heuchler machen. Ich will mit Ihnen nichts zu tun haben. Nicht das Geringste. Und ich werde das aller Welt deutlich zu verstehen geben.«
Stoner blickte ihn einige Augenblicke unverwandt an, dann schüttelte er den Kopf. »Nun gut, Holly«, erwiderte er müde und wandte sich ab.
»Einen Moment noch!«, rief Lomax.
Stoner drehte sich um. Lomax starrte mit rotem Gesicht in einige Papiere auf seinem Tisch und schien mit sich zu kämpfen. Stoner begriff, dass er nicht jemanden vor sich sah, der sich ärgerte, sondern jemanden, der sich schämte.
»Wenn Sie mich in Zukunft in Fachbereichsangelegenheiten sehen wollen«, sagte Lomax, »werden Sie sich von meiner Sekretärin einen Termin geben lassen.« Und obwohl Stoner ihn noch einige Augenblicke ansah, hob Lomax nicht wieder den Kopf. Ein kurzes Zucken lief über sein Gesicht, dann verharrte es reglos. Stoner ging aus dem Büro.
Über zwanzig Jahre lang sollten die beiden Männer nicht mehr miteinander reden.
*
Später begriff Stoner, wie unvermeidlich es war, dass die Studenten etwas davon bemerkten, denn selbst wenn er Lomax überredet hätte, den Anschein zu wahren, hätte er sie auf lange Sicht nicht davor bewahren können, von ihrem Kampf etwas mitzubekommen.
Einige seiner früheren Studenten, selbst Studenten, die er ziemlich gut gekannt hatte, nickten ihm nun verlegen zu und unterhielten sich bloß noch verstohlen mit ihm. Andere taten über Gebühr freundlich und gaben sich besondere Mühe, ihn anzusprechen oder sich mit ihm auf den Fluren zu zeigen. Nur fehlte das gute Verhältnis, das er
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