Stoner: Roman (German Edition)
glaube, ich will es gar nicht wissen.«
*
Zehn Tage später ernannte man Hollis Lomax offiziell zum Leiter des Fachbereichs Englisch, und noch einmal zwei Wochen später wurden unter den Fachbereichsmitgliedern die Seminarpläne für das folgende Lehrjahr verteilt. Stoner überraschte es nicht sonderlich, feststellen zu müssen, dass ihm für beide Semester drei Grundkurse und ein Einführungskurs für Zweitsemester zugeteilt worden waren; den Lektürekurs ›Mittelalterliche Literatur für höhere Semester‹ sowie sein Oberseminar hatte man aus dem Programm genommen. Es war, begriff Stoner, ein Stundenplan wie für einen Jungdozenten, eigentlich sogar noch schlimmer, da man die Seminare so gelegt hatte, dass er sechs Tage die Woche zu weit auseinanderliegenden Uhrzeiten unterrichten musste. Trotzdem protestierte er nicht, und er beschloss, im folgenden Jahr zu unterrichten, als ob alles in Ordnung wäre.
Zum ersten Mal, seit er Dozent geworden war, schien es ihm möglich, die Universität zu verlassen und woanders zu lehren. Er sprach mit Edith über diese Möglichkeit, doch sie sah ihn an, als hätte er sie geschlagen.
»Das könnte ich nicht«, sagte sie, »nein, das könnte ich nicht.« Und dann, als ihr bewusst wurde, dass sie Angst gezeigt und sich somit verraten hatte, wurde sie ärgerlich. »Was denkst du dir nur?«, fragte sie. »Unser Haus – unser hübsches Heim. Unsere Freunde. Und Grace’ Schule. Für ein Kind ist es gar nicht gut, wenn es von einer Schule zur nächsten geschleppt wird.«
»Es wird sich vielleicht nicht vermeiden lassen«, sagte er. Von dem Vorfall mit Charles Walker hatte er ihr nichts erzählt, auch nichts davon, wie Lomax in die Sache verwickelt war, doch wurde ihm rasch klar, dass sie alles darüber wusste.
»Rücksichtslos«, sagte sie. »Vollkommen rücksichtslos.« Doch wirkte ihr Ärger seltsam distanziert, beinahe schal, und träge wanderte der Blick ihrer blassblauen Augen von ihm zu irgendwelchen Gegenständen im Wohnzimmer, als wollte sie sich ihrer fortwährenden Anwesenheit versichern, während sich die schlanken, leicht sommersprossigen Finger ruhelos regten. »Ach, ich weiß über deinen Ärger Bescheid. Bisher habe ich mich ja nie in deine Angelegenheiten eingemischt, aber – also wirklich, du bist ganz schön sturköpfig. Ich meine, Grace und ich sind doch auch noch in diese Sache verwickelt. Du kannst schließlich nicht erwarten, dass wir unsere Siebensachen packen und umziehen, bloß weil du dich in eine unangenehme Lage gebracht hast.«
»Aber ich denke dabei doch gerade an dich und Grace, teilweise zumindest. Es könnte nämlich durchaus sein, dass ich … dass ich es in diesem Fachbereich nicht viel weiter bringe, wenn ich bleibe.«
»Ach«, erwiderte Edith kühl und legte Verbitterung in ihre Stimme. »Das ist nicht wichtig. Wir waren bislang arm, alsobesteht kein Grund, dass wir nicht weiter so leben könnten. Du hättest vorher dran denken sollen, wohin so etwas führen kann. Ein Krüppel!« Plötzlich änderte sich der Ton ihrer Stimme, und sie lachte nachsichtig, beinahe liebevoll. »Also ehrlich, das ist für dich alles so schrecklich wichtig. Was soll das denn?«
Columbia zu verlassen kam für sie nicht in Betracht. Sollte es so weit kommen, sagte sie, könnte sie mit Grace immer noch zu Tante Emma ziehen, die in letzter Zeit sehr schwach geworden war und ihre Gesellschaft sicher begrüßen würde.
Also ließ er die Möglichkeit beinahe im selben Moment wieder fallen, in dem er sie aufgebracht hatte. Er würde den Sommer über unterrichten, außerdem interessierten ihn zwei seiner Seminare ganz besonders; sie waren anberaumt worden, ehe Lomax Fachbereichsleiter geworden war. Stoner beschloss, ihnen seine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, zumal er wusste, dass es bestimmt eine Weile dauern werde, ehe er sie wieder unterrichten konnte.
XI
EINIGE WOCHEN NACH BEGINN des Herbstsemesters 1932 wurde William Stoner klar, dass es ihm nicht gelungen war, Charles Walker vom Doktorandenstudium abzuhalten. Walker kehrte nach den Sommerferien so triumphierend auf den Campus zurück, als beträte er eine Arena, und wenn er Stoner auf den Fluren von Jesse Hall sah, neigte er ironisch den Kopf und grinste maliziös. Von Jim Holland erfuhr Stoner, Dekan Rutherford habe gezögert, das Ergebnis der letztjährigen Abstimmung offiziell zu machen, weshalb man letztlich beschloss, Walker das erneute Ablegen der mündlichen Prüfung zu gestatten, nur wurden die
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