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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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brauchen die hier vielleicht am Wochenende.«
    Mehrere Sekunden lang sagte sie nichts, schaute ihn nur ausdruckslos an und biss sich auf die Unterlippe. Dann trat sie von der Tür zurück. »Wollen Sie nicht hereinkommen?«
    Er folgte ihr durch einen sehr kurzen, schmalen Gang in ein winziges, dämmriges Zimmer mit abgehängter Decke und einem niedrigen französischen Bett, das als Sofa diente. Davor standen ein langer Tisch, ein einzelner Polstersessel, ein kleines Schreibpult mit Stuhl sowie, an einer Wandseite, ein mit Büchern gefülltes Regal. Papiere lagen verstreut auf Tisch und Boden; auf dem Sofa waren mehrere offene Bücher zu sehen.
    »Es ist sehr klein«, sagte Katherine Driscoll und bückte sich, um eines der Bücher aufzuheben, »aber ich brauche nicht viel Platz.«
    Er setzte sich in den Polstersessel gegenüber dem Sofa. Sie fragte, ob er einen Kaffee wolle, und er sagte, er trinke gern eine Tasse. Als sie in die ans Wohnzimmer grenzende kleine Küche ging, entspannte er sich, blickte sich um und lauschte auf die leisen Geräusche, die aus der Küche zu hören waren.
    Sie servierte den Kaffee in zarten, weißen Porzellantassen auf einem schwarzen Lacktablett, das sie auf dem Tisch vor dem Sofa absetzte. Eine Weile nippten sie am Kaffee und unterhielten sich angestrengt, bis Stoner auf den von ihm gelesenen Teil ihrer Arbeit zu sprechen kam und ihn erneut die schon in der Bibliothek gespürte Begeisterung packte; er beugte sich vor und redete aufgeregt auf sie ein.
    Viele Minuten lang konnten die beiden selbstvergessen miteinander reden, sich unter dem Tarnmantel ihres Themasverstecken. Katherine Driscoll saß mit blitzenden Augen auf dem Sofarand und knetete ihre schlanken Finger über dem Couchtisch. William Stoner zog seinen Sessel näher heran und beugte sich aufmerksam vor; er hätte sie berühren können, wenn er eine Hand ausgestreckt hätte, so nahe waren sie sich jetzt.
    Sie sprachen über die Probleme, die von den Kapiteln ihrer Arbeit aufgeworfen wurden, darüber, wohin ihre Fragestellung führen mochte und wie wichtig das Thema war.
    »Sie dürfen nicht aufgeben«, sagte er, und sein Ton verriet eine Dringlichkeit, die er nicht verstand. »Wie schwer es Ihnen manchmal auch fallen mag, Sie dürfen keinesfalls aufgeben. Die Arbeit ist einfach zu gut, um nicht damit weiterzumachen. Und sie ist wirklich gut, daran besteht kein Zweifel.«
    Sie blieb stumm, und einen Moment lang wich die Begeisterung aus ihrem Gesicht. Dann lehnte sie sich zurück, wandte den Blick ab und sagte wie in Gedanken: »Das Seminar – einiges von dem, was Sie gesagt haben, war sehr hilfreich.«
    Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Sie hätten das Seminar nicht gebraucht, aber ich bin froh, dass Sie kommen konnten. Es war ein gutes Seminar, denke ich.«
    »Ach, es ist eine Schande«, platzte es aus ihr heraus. »Eine Schande. Das Seminar … Sie waren … ich musste nach dem Seminar noch einmal von vorn anfangen. Es ist eine Schande, dass diese Leute …« Aufgebracht verstummte sie, stand vom Sofa auf und trat ruhelos an den Tisch.
    Von ihrem Ausbruch verblüfft, wusste Stoner einen Moment nicht, wie er reagieren sollte, und sagte dann: »Sie müssen sich deshalb keine Sorgen machen. So etwas passiert undwird sich mit der Zeit schon wieder einrenken. Es ist wirklich nicht weiter wichtig.«
    Und plötzlich, kaum hatte er die Worte gesagt, war es tatsächlich nicht weiter wichtig. Einen Moment lang spürte er, es stimmte, was er gesagt hatte, und zum ersten Mal fühlte er sich vom Gewicht einer Verzweiflung befreit, deren Schwere ihm gar nicht bewusst gewesen war. Fast schwindlig und beinahe lachend wiederholte er: »Es ist wirklich nicht weiter wichtig.«
    Doch mit einem Mal waren sie verlegen und konnten sich nicht mehr so ungezwungen unterhalten, wie sie es gerade noch getan hatten. Bald darauf erhob sich Stoner, bedankte sich für den Kaffee und verabschiedete sich. Sie begleitete ihn zur Tür und klang beinahe schroff, als sie ihm eine gute Nacht wünschte.
    Draußen war es dunkel und recht kühl an diesem Frühlingsabend. Tief atmete er ein und spürte, wie ihm die frische Luft einen Schauder über den Rücken schickte. Hinter den scherenschnittartigen Umrissen der Mietshäuser schimmerten die Lichter der Stadt im fahlen Dunst. An der Straßenecke wehrte sich matt eine Laterne gegen die Dunkelheit, und aus dem umgebenden Schwarz durchbrach der Widerhall eines Gelächters abrupt die Stille, hing eine Weile in

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