Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
Vom Netzwerk:
Nachmittags im Hauptbüro die Post aus seinem Fach holte, hörte er, wie ein junger Dozent zu einem Kollegen sagte, dass Katherine Driscoll krank und während der letzten beiden Tage nicht zur Universität gekommen sei. Das taube Gefühl ließ nach; und er spürte einen heftigen Schmerz in der Brust, während zugleich alle Entschlossenheit und Willenskraft schwand. Mit ruckartigen Bewegungen trat er an sein Regal, wählte ein Buch aus und ging nach draußen. Als er vor Katherine Driscolls Wohnung stand, war er so außer Atem, dass er mehrere Augenblicke vor ihrer Tür innehalten musste. Schließlich setzte er ein Lächeln auf, von dem er hoffte, es wirke unbesorgt, und klopfte an die Tür.
    Sie sah noch blasser als gewöhnlich aus, und um ihre Augen zeigten sich dunkle Schatten; sie trug einen schlichten dunkelblauen Morgenmantel und hatte das Haar aus dem Gesicht und straff nach hinten gekämmt.
    Stoner wusste, wie nervös und dumm er klingen musste, konnte die Worte aber nicht zurückhalten, die ihm über die Lippen sprudelten. »Hallo«, grüßte er aufgekratzt, »ich habe gehört, dass Sie krank sind, und da dachte ich, ich schaue vorbei und erkundige mich, wie es Ihnen geht. Außerdemhabe ich ein Buch mitgebracht, das Ihnen nützlich sein könnte. Aber wie fühlen Sie sich? Ich möchte keine …« Er hörte die Worte aus seinem steifen Lächeln purzeln und konnte seine Blicke nicht daran hindern, suchend über ihr Gesicht zu wandern.
    Als er schließlich verstummte, trat sie von der Tür zurück und sagte leise: »Kommen Sie herein.«
    Kaum waren sie in ihrem Wohnschlafzimmer, legte sich seine nervöse Albernheit, und er setzte sich in den Sessel vor ihrem Bett, während er spürte, wie ihn eine vertraute Entspanntheit überkam, sobald Katherine Driscoll ihm gegenüber Platz nahm. Mehrere Augenblicke lang sagten sie beide kein Wort.
    Schließlich fragte sie: »Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Bitte machen Sie sich keine Umstände«, sagte Stoner.
    »Nein, ist schon in Ordnung.« Ihre Stimme klang brüsk, und es schwang darin ein Unterton von Ärger mit, wie er ihn schon vorher gehört hatte. »Ich wärme ihn nur auf.«
    Sie ging in die Küche. Während Stoner allein in dem kleinen Zimmer saß, starrte er bedrückt auf den Couchtisch und sagte sich, er hätte nicht kommen sollen, um sich dann über die Dummheit der Menschen zu wundern, die sie veranlasste, die merkwürdigsten Dinge zu tun.
    Katherine Driscoll kam mit der Kaffeekanne und zwei Tassen zurück, schenkte ein, und gemeinsam saßen sie da, um dem von der schwarzen Flüssigkeit aufsteigenden Dampf zuzusehen. Sie nahm sich eine Zigarette aus einer zerknitterten Packung, zündete sie an und paffte einen Moment lang nervös. Stoner erinnerte sich an das Buch, das er mitgenommen hatte und immer noch in der Hand hielt. Er legte es auf den Couchtisch.
    »Vielleicht ist Ihnen jetzt nicht danach«, sagte er, »aber ich habe da etwas entdeckt, was Sie möglicherweise hilfreich finden, und da dachte ich …«
    »Fast zwei Wochen habe ich Sie nicht gesehen«, sagte sie und drückte ihre Zigarette aus, rammte sie regelrecht in den Aschenbecher.
    Er war bestürzt und erwiderte zerstreut: »Ich hatte zu tun – so viel zu tun …«
    »Ist ja auch egal«, sagte sie, »wirklich, ich hätte nicht …« Sie rieb sich mit der Hand über die Stirn.
    Besorgt sah er sie an und fürchtete, sie könne Fieber haben. »Es tut mir leid, dass Sie krank sind. Und falls ich irgendetwas …«
    »Ich bin nicht krank«, sagte sie, um dann in einem ruhigen, nachdenklichen, fast desinteressierten Ton hinzuzusetzen: »Ich bin nur zutiefst unglücklich.«
    Er verstand noch immer nicht. Die nackte, harsche Äußerung durchfuhr ihn wie eine Messerklinge, weshalb er sich ein wenig von ihr abwandte, ehe er verwirrt hervorbrachte: »Das tut mir leid. Wollen Sie mir davon erzählen? Falls ich irgendetwas für Sie tun kann …«
    Sie hob den Kopf. Ihre Miene war unbeweglich, ihre Augen aber funkelten in Tränen. »Ich hatte nicht vor, Sie in Verlegenheit zu bringen. Entschuldigen Sie. Sicher halten Sie mich für ziemlich dumm.«
    »Nein«, sagte er und schaute sie noch einen Moment länger an, ihr blasses Gesicht, das sie durch reine Willensanstrengung ausdruckslos zu halten schien. Dann senkte er den Blick auf seine großen, knochigen Hände mit den rauen, massigen Fingern und den Knöcheln, die wie weiße Knäufe aus brauner Haut ragten.
    Schließlich sagte er mit langsamer, schwerer Stimme: »In

Weitere Kostenlose Bücher