STOP! (German Edition)
Frem d wörter. Ich war sogar drei Monate im Knast. Dort habe ich es versucht. Es war die dunkelste Zeit in meinem Leben.“
Sie schaute zum Boden und ihr Blick streifte dabei seine Unterarme. Die Narben waren groß und stachen eigentlich sofort ins Auge. Warum hatte sie sie nicht früher schon g e sehen? Er sah, dass sie auf seine Arme starrte und verdeckte die Narben automatisch mit seiner Hand.
„Sie haben es mitbekommen und sofort Hilfe gerufen“, riet sie.
Er nickte. „Dann haben sie mich zum Psychologen g e schickt, das volle Programm. Ein paar Wochen später hab ich dann aber den Typ, von dem ich eben erzählt habe, getroffen und bin aus der Scheiße wieder ganz gut rausgekommen. Seitdem habe ich auch nie wieder daran gedacht. Bis eben. Als ich dich sah und du mich verdammt gut an mich selbst erinnert hast.“
Emily lächelte schwach. Was war das nur für ein ve r rückter Tag?
„Und wie bist du da jetzt eigentlich rausgekommen? Aus dieser Magersucht-Nummer.“
Sie wartete, kurz bevor sie antwortete. „Ich weiß auch nicht ... Ich hatte Angst, in eine Klinik zu kommen. Und de s halb hab ich mir in den Kopf gesetzt, eine normale Portion am Tag zu essen. Es hat Wochen gedauert, bis ich mich das g e traut hatte. Aber dann hab ich wieder gemerkt, wie viel Spaß es macht, zu essen. Ich weiß, dass sich das jetzt wahrschei n lich komisch anhört, aber ich empfinde es wirklich so. Ich habe früher immer gern gegessen und es immer genossen. Und irgendwann, ich weiß selbst nicht genau wie, hat es wieder einigermaßen normal funktioniert. Ich hatte dieses Gefühl ja komplett verloren. Es gibt heute immer noch Tage, an denen ich kaum etwas esse, aber das ist eher seltener.“
Er nickte.
„Ich werd mir noch `nen Kaffe holen gehen. Willst du diesmal einen?“
„Ich trinke nur Tee.“
„Gut“, er klopfte auf seine Beine, „dann eben Tee.“ Er stand auf und verschwand zum zweiten Mal.
Dieses Mal wünschte sie sich aber nicht, dass er nicht zurückkam. Emily stellte ihr Handgepäck auf den benac h barten Sitzplatz, um sicher zu gehen, dass sich kein Anderer neben sie setzen würde. Sie schaute zu ihrem Notebook, übe r legte einen winzigen Moment und schüttelte dann nur den Kopf. James war nicht mehr wichtig.
„Entschuldigen Sie, könnten Sie Ihre Tasche von diesem Stuhl nehmen? Ich würde mich gerne setzen.“ Emily schaute auf und sah in das Gesicht einer jungen Frau.
Sie wollte gerade etwas sagen und griff nach ihrer Tasche, als er mit zwei Bechern zurückkam und sich schnell auf den Sitz plumpsen ließ.
„So, bitteschön!“ Er reichte ihr einen Becher und schlürfte gleichzeitig an dem anderen.
„Danke“, sie nahm den Becher und fing an, mit der anderen Hand in ihrer Tasche zu wühlen.
„Also das ist ja wohl eine Unverschämtheit!“, donnerte die andere Frau. „Ich war im Inbegriff mich hinzusetzen!“
„Und anscheinend nicht schnell genug“, er zuckte mit den Schultern. Da war er wieder. Der Kerl mit dem Messer. Die Nervensäge, die sie beinahe in den Wahnsinn getrieben hat. Emily musste grinsen.
Die Frau knurrte verärgert und zischte danach ab.
Zwei Jungs – offenbar Zwillinge und doch ganz ve r schieden – wichen ihr gerade noch aus, bevor sie mit ihnen zusammenstoßen konnte.
Es gab schon seltsame Menschen, seltsame Wege.
Als Emily ihren Geldbeutel gefunden hatte, winkte Dennis nur ab und meinte: „Lass das stecken. Ich verdiene schließlich noch Geld“, er zwinkerte ihr zu. Mit seiner Art von Humor wurde sie wohl nicht mehr warm. Sie bedankte sich einfach nochmals und trank einen Schluck Tee.
„Und wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte er.
Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich denke, ich werde es in London versuchen. Was bleibt mir jetzt noch anderes übrig? Ich hab die Flugtickets und hier hält mich ja eh nichts mehr.“
„Dir sollte bewusst sein, dass ein Neustart nicht zwang s läufig mit einem neuen Ort oder neuen Leuten zu tun hat. Ich glaube, es liegt überwiegend an einem Selbst. Es kommt auf die Einstellung an, nicht auf die Umstände.“
Wie kommt es, dass dieser Typ zwei Gesichter hat? Und so genau Bescheid weiß? Anfangs hätte sie ihm nie zugetraut, dass solche Sätze über seine Lippen kommen würden. Wie oft sie sich in Menschen täuscht ... beinahe schon erschreckend.
„Verstehst du überhaupt, was ich meine?“
Hallo? Denkt er jetzt etwa, sie sei dumm, nur weil sie kurz nachgedacht hatte?
„Ja, ich verstehe schon.“
Er nickte.
Weitere Kostenlose Bücher