STOP! (German Edition)
immer wieder herunterzerren, dorthin wo es dunkel ist. Ich fange wieder an zu weinen. Ich habe das Gefühl, dass mein Kopf gleich vor Hitze platzt und lege mich flach auf den Boden. Ich versuche mich zu beruhigen. Unten läuft der Fernseher. Fetzen der Titelmelodie dringen ins Badezimmer. Biene Maja . Die Kinder lieben diese Serie und sie sind noch wach. Warum? Sie warten auf mich. Nachher nimmt sie Jan, mein Mann, der Vater von Susi und Paul, noch auf den Arm und sie können fliegen wie die Bienen in der Luft. Meine Güte, Jan. Ich sehe sein Gesicht direkt vor mir. Wie er mich immer wieder lieb e voll küsst und die Kinder ihn stürmisch umarmen. Bei den Bildern beginne ich zu würgen und rutsche in Richtung Klo. Gänsehaut kriecht mir die Arme hoch und ich fange an zu zittern. Unten höre ich Kinderlachen, das Bienenspiel hat b e gonnen. Ein Flüstern: „Ich bin echt das Letzte.“ Meine Worte hallen leise an den Wänden wider und treffen mich trotzdem mit voller Wucht. Ich sinke zurück auf den Boden. Ich bin eine Rabenmutter, wenn nicht auch noch eine Rabenehefrau. Meine Tränen fallen auf mein schwarzes Top, das ich noch anhabe. Doch das ist mir momentan wirklich scheißegal. Meine Familie sitzt unten beisammen in vollkommen harmonischer Eintracht und ich hocke hier im Bad und heule mir die Seele aus dem Leib. Aber warum? Ich darf mich doch nicht beschweren. Alles läuft blendend. Jan und ich haben beide sichere Arbeitsstellen. Jan ist in einer Chefposition bei einer Bank, ich kann für eine kleine Zeitung zu Hause arbeiten. Wir beide verdienen gutes Geld, wir besitzen sogar ein kleines Reihenhäuschen im Frankfurter Nordend. Trotz Jans langen Arbeitszeiten kommt er so früh es geht nach Hause und kümmert sich rührend um Susi und Paul. Die Kinder vergöttern ihn. Susi und Paul, beide im Kindergarten, sind lieb und lassen sich gut erziehen. Jan und ich führen eine solide Ehe. Das sind die Fakten.
Vor meinen Augen verschwimmt bereits wieder alles und ich greife mit der Hand zum Taschentuch, das bereits völlig vernässt auf dem Boden liegt. Ich darf mich nicht beschweren. So gut wie jeder würde mit meinem Leben tauschen wollen. Ich führe ein perfektes Leben. Doch das existiert nur äuße r lich, nicht in meinem Innern. Es ist kaum zu beschreiben. Eigentlich ist es nicht zu beschreiben. Nicht mal mein Mann weiß davon, höchstens meine Freundinnen scheinen was zu erahnen. Meine Finger ballen sich zu einer Faust zusammen. Ich würde mich am liebsten für dieses Gefühl selber schlagen. Denn ich liebe meine Kinder und meinen Mann und hasse sie gleichzeitig. So sehr, wie man beide Gefühle nur fühlen kann. Vielleicht hasse ich noch nicht mal sie, ich denke, eher dieses Leben, das ich führe. Das perfekt-und-doch-nicht-so-perfekte Leben. Es ist wirklich absolut mies, so etwas zu schreiben, doch so kann ich es am besten ausdrücken. Vielleicht kann ich das, was ich fühle, in geschriebene Worte fassen. Mist! Die Tempos werden weniger, bald sind keine mehr da. Ich weine so viel, als würde ich alle vorrätigen Tränen meines Lebens verweinen. Ich hasse mein Leben, weil es einfach für alle so perfekt scheint und das Schlimmste daran ist, dass es für jeden, außer für mich, auch perfekt wäre . Für mich ist es ein 08/15-Leben, ich fühle mich wie ein Vogel in einem goldenen Käfig, der aus Gitterstäben der Liebe besteht, die meine Kinder und mein Mann tagtäglich erneuern. Ich brauche die Liebe meiner Familie, wie ein Vogel, der die Stäbe braucht, da sie ihn rundherum schützen. Gleichzeitig will ich aber einfach nur flüchten, herausfliegen, weil sie mich in allem einfach nur begrenzen. Ich ringe nach Luft. Genau dieses Gefühl verspüre ich. Doch noch nie habe ich es so genau ausdrücken können. Ich fühle mich mies. Schäbig. Andere Mütter, Väter, einfach jeder wird wohl bei solch einem Gedanken nur den Kopf schütteln und mit dem Finger auf mich zeigen. Tausend Finger scheinen auf mich gerichtet, mein Kopf sinkt beschämt auf meine Brust. Ich bin wohl doch eine Rabenmutter. Eine Mutter, die ihre Kinder nicht so sehr liebt, wie sie es eigentlich verdient hätten. Im Gegensatz zu Jan. Er erfüllt komplett seine Vaterrolle und liebt sie aus vollem Herzen. Ist kaum überse h bar. Jan würde seinen Platz hier mit niemandem tauschen wollen. Das weiß ich ganz genau. Er zeigt es mir, Susi und Paul auch jeden Tag. Ich kann ihr Lachen hören.
Ich sollte jetzt da unten sein. Heile Familie. Wir wären die
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