STOP! (German Edition)
Familie für jedes Hochglanzmagazin. Absolut vorzeigbar. Im Gegensatz zu mir jetzt. Zitternd mit roter Nase kauere ich jetzt in der Ecke unseres Badezimmers. Weder mein Mann noch meine Engel ahnen von meinem Zustand. Ich würde und könnte mich ihnen jetzt auch niemals zeigen. Die Temp o packung ist leer. Schniefend krame ich in der untersten Schu b lade unseres Badezimmerschränkchens herum und zerre die lila Schachtel heraus. Meine Schachtel. Jan denkt, dass ich dort meine Schminksachen aufbewahre, aber dort sind meine Rettungsmittel für Situationen wie diese: Beruhigungspillen, Tempopäckchen und die Anti-Babypille. Schnell schlucke ich sie, wild durcheinander, und verstecke sie in der Schachtel. Ich fühle mich noch mieser, doch schlimmer kann es bald nicht mehr kommen. Ich schnäuze mich in ein Tempo. Jan wünscht sich schon lange ein drittes Kind. Er meint, je mehr Kinder er habe, desto glücklicher und zufriedener wäre er. Ich sehe ihn noch genau vor mir, als er die Nachricht bekommen hatte, als ich zum zweiten Mal schwanger war. Er, der sonst eher ruhig ist, sprang vor Freude im Wohnzimmer herum und begann am folgenden Tag wie wild Babykleider zu kaufen. Diese Nachricht warf mich wieder komplett aus der Bahn, ich versuchte meine Schwangerschaft auszublenden und legte mir in dieser Zeit immer wieder neue Hobbys zu. Bei Susi begann ich zu stricken und bei Paul begann ich mit dem Malen. Hielt ich die zwei zum ersten Mal in meinen Armen, hatte ich das Gefühl, als ob ein Teil von mir weggegangen war und ein großes Loch nun in meinem Herzen klaffte. Gleichzeitig schienen Susi und Paul dieses Loch aber immer wieder zu reparieren, doch es gab in letzter Zeit immer öfter die Momente, in denen selbst ihr Nähgarn für mein Loch nicht ausreichte und es wieder aufriss.
Heute ist wieder einer dieser Tage. Ich sitze still am Boden. Die Treppe knarrt. Es sind die Schritte von Jan. Ich würde sie überall wieder erkennen. „Schatz, ist alles in Ordnung? Ist dein Kopfweh wieder besser? Ich bringe noch schnell die Kinder ins Bett, ich koch dir dann noch eine Tasse Tee.“ Mein Herz klopft und ich bringe sogar ein kleines Lächeln zustande, das aber wieder sofort in meinem Gesicht erlischt. Er ist so lieb. Ich habe ihn einfach nicht verdient. Nachdem ich ihn mit einer laschen Entschuldigung ins Bett geschickt habe, fange ich wieder an zu weinen. Warum fühle ich nur so, wie ich fühle? Bei mir könnte doch alles super sein. Jan liebt mich und er kennt mich auch. Eben hat er kurz g e zögert, bevor er in unser Schlafzimmer gegangen ist. Ich glaube, er ahnt etwas. Die Uhr tickt. Die Stille dröhnt in meinen Ohren und mir wird ganz schwindelig. Ich kralle mich mit meinen Händen an ein Handtuch, so als könnte ich mich festhalten. Mein Blick wandert an den Handtüchern hinauf, gleitet über die Schminksachen zu der Truhe, in der wir die Wäsche aufbewahren, die gewaschen werden muss. Ich könnte einfach weggehen, einfach abhauen. Alles hinter mir lassen. Frei sein, mir die Tür des Käfigs öffnen. Der Gedanke trifft mich wie ein Blitz und mein Mund bleibt geschockt offen stehen. Ich bin von mir selbst entsetzt. Wie kann ich nur so was denken? Ich liebe ja meine Familie, nur auf meine Art und Weise und ich brauche sie doch auch. Was geht bloß in mir vor? Doch der Gedanke festigt sich in meinem Gehirn. Was wäre wenn ...? Ja, was wäre dann ...?
Plötzlich scheinen meine Gedanken sich zu verselbs t ständigen. Ich könnte mit den Mädels wieder zusammen nach Italien fahren. Unser Lieblingsziel. Alle paar Jahre nahmen wir alle für zwei Wochen Abschied von unserem Alltag, mieteten uns einen Wagen und fuhren aufs Blaue drauf los in das Land der Pasta und Amore. Es waren diese Wochen, in denen wir alle unseren Lieblingsbeschäftigungen nachgingen und uns gegenseitig wieder aufs Laufende brachten. Wir wohnten zwar alle in Frankfurt, doch fanden wir kaum die Möglichkeit uns alle an einem Tag zu treffen. Diese beiden Wochen im Jahr waren unsere heilige Zeit und jede von uns hatte sich dies dick im Kalender eingerahmt. Den ganzen Tag am Strand liegen, in den Bergen kraxeln, abends bis in den Morgengrauen tanzen gehen. Ich sah Julia vor mir, ein Buch auf der Hängematte lesend, Kathrin gackerte fröhlich in ihr Handy hinein. Beide waren glücklich verheiratet. Eva dagegen war Single, doch glücklich. Sie begnügte sich mit ein paar Affären und ging sonst total in ihrem Beruf auf. In meinem Bauch kribbelt es. Es war das Gefühl,
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