STOP! (German Edition)
fühlen? Ich kann nicht mehr, und ich will auch nicht mehr. Ich mache einen Schritt nach hinten und die Tasse fällt um und zerbricht in tausend Scherben. Der Tee läuft in die einzelnen Rillen der Fliesen. Mit dem Klirren treffe ich meine Entscheidung. Ich will weg. Ich schaffe das einfach nicht mehr. Tag ein Tag aus, gebe ich mir unendlich viel Mühe. Ich schaffe auch, was ich mir vorgenommen habe. Aber ich bin müde. Ich will nur ein einziges Mal egoistisch sein. Plötzlich bin ich ganz ruhig. Ich weiß, was zu tun ist. Meine Entscheidung ist gefallen. Leise schleiche ich mich den Flur hinunter und werfe schnell ein paar Sachen in meine Tasche. Nur das Nötigste. Auf einmal kann es mir nicht schnell genug gehen. Ich schleiche bereits mit der Tasche an den Kinderzimmern vorbei und bleibe jäh stehen. Ich kann doch nicht einfach so gehen? Ich öffne leise die Zimmertür. Susi und Paul liegen schlafend in ihren kleinen Bettchen. Ich gehe auf Fußspitzen zu Susis Bett. Da liegt sie, mein kleiner Engel. Ich merke, wie mir die Tränen wieder hochsteigen. Ich streiche ihr sacht über den Kopf. Paul hustet. Mein Paul. Ich bücke mich an sein Bettchen. Mein kleiner Schatz. Meine Hände zittern. Ist es richtig, was ich jetzt mache? Ich muss es doch jetzt durchziehen?! Schnell gehe ich leise wieder zur Tür und schließe sie. Meine Tränen kann ich nicht mehr unte r drücken. Was mache ich nur? Ich stehe vor unserem Schla f zimmer. Jan schnarcht, und zwar laut. Ich öffne leise die Tür. Er liegt schief im Bett, die Decke halb von sich gewälzt. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen. Ich sehe ihn an, meinen Mann und der Vater meiner Kinder. Auf ihn konnte ich immer bauen und jetzt bin ich es, die ihn einfach so stehen lässt ... Ich sehe ihn noch ein Mal an. Ja, ich liebe dich, Jan. So sehr, wie es mir nur möglich ist. Aber es reicht nicht. Ich muss weg, ich ertrage das nicht mehr.
Im Wohnzimmer schnappe ich mir einen Zettel. Meine Hände zittern. Kurz und schmerzlos, so will ich es ihm schreiben. Ich beginne zu schreiben. „Ich kann nicht mehr, dieses Leben macht mich kaputt. Doch sei dir sicher, Jan, du und die Kinder, ich habe euch immer geliebt, doch nur auf meine Weise. Meine Liebe ist nicht genug, sie reicht nicht aus. Ihr habt was Besseres verdient. Versucht mich zu vergessen. In Liebe, Saoirse.“ Ich kann meine Tränen nicht mehr zurüc k halten. Ich schließe leise die Haustür und renne einfach los. Ich kann nicht mehr zurücksehen. Ich laufe, laufe, laufe. Ich weiß nicht wohin, ich will einfach nur weg. Eigentlich habe ich keine Ahnung, wie genau ich zum Flughafen gekommen bin. Ist auch egal, denn jetzt bin ich hier und nur das ist wichtig. Da sind Flugzeuge, die in die Ferne fliegen, frei wie ein Vogel. Italien, ich kann nach Italien fliegen. Ich renne weiter. Ich kann tun, was immer ich will. Ich betrete das Terminal.
Warum stehen denn alle Leute einfach nur so da? Warum sehen alle so unglücklich aus? Sie können doch fort! Nichts hält sie hier. Ich gehe weiter. Ich rempele einen Mann an. Er starrt wütend auf die Anzeigetafel. Ich blicke hoch. Bankok, Canceled. Madrid, Canceled. Rom, Canceled . Die Anzeigen sind endlos. Alle Flüge sind gestrichen. „Was ist denn passiert? Alle Flüge sind gestrichen. Warum?“ Ich merke, wie meine Stimme panisch klingt. „Haben Sie noch nichts davon gehört? In Island ist ein Vulkan ausgebrochen, die Asch e wolken haben den ganzen europäischen Flugverkehr lah m gelegt. Verdammt, ich muss zu einer Konferenz, die wartet nicht.“ Der Mann grummelt wütend weiter, schnappt sich seinen Koffer und geht schnurstracks zu einem der Schalter.
Ich sehe ihm hinterher. Er hat ein Ziel, er weiß, wo er hin will. Ich drehe mich um. Um mich herum sind überall nur Leute, die in bestimmte Richtungen laufen. Niemand ist hier anscheinend ohne Ziel. Alle scheinen zu wissen, was sie tun sollen. An den Informationsständen herrscht Gedränge. Leute diskutieren in ihre Handys. Stehen in Gruppen zusammen, mit den Händen wild gestikulierend. Es herrscht Ungewissheit. Wir können anscheinend nicht damit leben. Es macht die Menschen nervös. Ich seufze. Ich lebe schon lange mit ihr, der Ungewissheit. Ich setze mich auf eine der Wartebänke, fühle mich ausgelaugt. Plötzlich scheint jedem das Ziel genommen. Das Leben macht eine Pause. Wie verrückt. Gegenüber von mir sitzt eine alte Frau. Sie trägt einen rosafarbenen Rege n mantel und strickt. Sie kommt mir bekannt vor. Woher kenne ich
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