STOP! (German Edition)
sie bloß? Sie hebt den Kopf und lächelt mich an. Es ist ein warmherziges Lächeln. Mir kommt ein Gedanke. Ist es die Frau, die Jan, Susi und mich gesehen hat, als Jan vor Glück platzte, als ich mit Paul schwanger war? Aber das kann doch nicht sein. Frankfurt ist eine Millionenstadt und warum sollte sie an einem frühen Morgen hier sitzen und stricken?
Jan, Susi und Paul. Plötzlich sind sie wieder da. Ich kann sie vor mir sehen. Ich schüttele den Kopf, ich dachte, dass ich weiß, was richtig ist? Die Frau schaut mich wieder an. Warum sieht sie mich die ganze Zeit an? „Wollen Sie nicht an Ihr Handy gehen? Es bimmelt schon die ganze Zeit.“ Ich schaue irritiert auf meine Tasche. Sie hat recht, ich habe es gar nicht gehört. Ich sehe auf das Display: Jan. Er hat wohl meine Nachricht gelesen. Im Hintergrund sehe ich das Bild von uns Dreien . „Gehen Sie ran, Kindchen. Es scheint wichtig zu sein.“ Sie schaut mich aufmuntert an. Auf einer der anderen Bänke sitzt eine junge Frau, die etwas rundlich ist und die mit einem aufdringlich wirkenden Mann redet. Sie scheinen sich nicht zu kennen und auch nicht wirklich zu mögen. Es klingelt weiter. Ich sehe die alte Frau fragend an. Ich muss verrückt sein, dass ich eine alte Frau, die ich wahrscheinlich noch nie gesehen habe, um Hilfe bitte. Denn dieses Telefongespräch wird alles entscheiden. Ich habe Angst vor diesem Gespräch. Die alte Dame scheint meine Gefühle zu erahnen. „Wer weiß, wofür dieser Vulkanausbruch gut ist, nicht wahr, Kindchen? Er lässt uns vielleicht manche Entscheidungen wieder überdenken.“ Die alte Frau wendet sich ihrem Strickzeug wieder zu und es sieht so aus, als ob sie mich vergessen hat. Ein gutaussehender Südamerikaner geht an mir vorbei, er sieht beunruhigt aus.
Das Handy klingelt immer noch. Ich starre auf unser Bild. Habe ich die falsche Entscheidung getroffen? Ich schaue nach oben. Ein Sonnenstrahl fällt durch die gläserne Decke. Ein Vogel kommt geflogen. Manchmal ist der Frühling wirklich seltsam. Der Vogel lässt sich auf einer Stahlverstrebung nieder und ruht sich aus. Alltagsmomente. Nur für mich nicht. Mein Handy klingelt. Und ich? Ich muss mich jetzt entscheiden.
4.
Mateus
Es war ein ganz normaler Tag gewesen. Mitte Februar. Eigentlich ein ganz normaler Tagesbeginn, ein chaotisches Frühstück, ein hektischer Abschiedsgruß und dann der eilige Weg zur Metro. Die Luft fühlte sich an, als wäre sie über Nacht kein Grad abgekühlt, genauso schwül und warm wie an den Tagen zuvor. Nach dem allmorgendlichen Weg mit der U-Bahn in die Redaktion bahnte ich mir meinen Weg durch das Großraumbüro zu meinem Schreibtisch. Einige Begrüßungen erwiderte ich abwesend. Nachdem ich flüchtig die Post übe r flogen hatte, begann ich mit einem Vorbericht zu einem Spiel der Staatsmeisterschaft am Abend des folgenden Tages, ich war noch nicht weit gekommen, als mein Telefon läutete. Die Sekretärin des Chefredakteurs rief mich in sein Büro, es gäbe etwas Wichtiges zu besprechen.
Ich arbeitete nun seit fünf Jahren beim Diário São Paolo, eine ganz normale Laufbahn in der Sportredaktion. Die letzten Monate waren prima für mich verlaufen. In der gesamten Zeit hier war es bisher nur einmal vorgekommen, dass ich in das Büro des Chefs gerufen wurde, damals war es eine B e förderung gewesen. Das konnte ich diesmal getrost au s schließen, das war beim besten Willen nicht drin, die letzte lag erst kurz zurück. In meinem Kopf spielte ich alle in Frage kommenden Szenarien durch. Von der Entlassung bis zur G e haltserhöhung war fast alles möglich. Ich fühlte mich an meine Schulzeit zurück erinnert, als ich einmal wegen eines Zwischenfalls mit einem meiner Mitschüler in das Büro der Direktorin gerufen wurde.
„Morgen, Carvalho“, sagte er und deutete auf den B e suchersessel gegenüber seinem Schreibtisch. „Ich hab etwas Großes für Sie. Können Sie in nächster Zeit verreisen?“
Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Das Ganze kam überraschend. Andererseits war das genau die Möglichkeit, auf die ich seit meinem ersten Tag hier wartete.
„Im Prinzip schon, für wie lange denn?“, fragte ich.
„Passen Sie auf, es sieht so aus: Im Juni beginnt die WM, da steht das Leben hier einen Monat still und es geht nur um Fußball. Wir wollen schon jetzt darauf hinarbeiten und die Leser neugierig machen. Mir schwebt eine Reportage über die Brasilianer in den europäischen Topligen vor. Quasi eine Reise
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